Dr. Thorsten Kornblum über große Herausforderungen
Braunschweigs Oberbürgermeister Dr. Thorsten Kornblum im Interview
Stadtverwaltungen im Ausnahmezustand: Die Corona-Pandemie ist für die gesamte Stadtgesellschaft und damit verbunden auch für die Stadtverwaltung eine große Herausforderung. Davon losgelöst ist Dr. Thorsten Kornblum, der im vergangenen November ins Amt des Oberbürgermeisters startete, mit vielen wesentlichen Schwerpunktthemen in die Arbeit gestartet.
Über wesentliche Themen, die Stadtverwaltung als Arbeitgeber, eine partizipative Stadt, die jüngeren Generationen und auch Wünsche für das Jahr 2022 sprach Redakteur Falk-Martin Drescher mit Braunschweigs neuem Oberbürgermeister.
Sie sind nun seit rund drei Monaten im Amt, wie waren die ersten Wochen für Sie? Wie haben Sie die ersten Wochen in Ihrer neuen Rolle wahrgenommen?
Ein Vorteil ist natürlich, dass ich vorher schon als Dezernent in der Verwaltungsführung tätig war, weshalb ich in die grundlegenden Abläufe relativ schnell hineingefunden habe. Ich kannte auch schon viele Akteurinnen und Akteure in der Stadtgesellschaft, das hat mir den Start erleichtert. Andererseits hat Corona vieles erneut auf den Kopf gestellt. Jetzt müssen wieder die meisten Termine auf digital umgestellt werden, sodass ich viel Zeit mit Videokonferenzen in meinem Büro verbringe und weniger zu den Menschen vor Ort kommen kann. Das fehlt mir persönlich.
Sie sind in der Corona-Pandemie ins Amt gestartet. Wie viel Normalität kehrt im Rahmen einer solchen Zeit ein? Und wie viel Ausnahmezustand herrscht noch?
Die Kollegen und Kolleginnen leisten da wirklich Großartiges. Durch die Erfahrungen mit den Herausforderungen aus der Vergangenheit – etwa die Finanzkrise, die große Flüchtlingsbewegung oder die ersten Pandemie-Wellen – sind sie zwangsläufig krisenerfahren. Und: Auf alle großen Herausforderungen wurde strukturell und organisatorisch reagiert. Dies geschieht allerdings nicht nur in der Verwaltung, sondern etwa auch im Gesundheitssystem oder bei der Polizei, eben bei denjenigen, die unmittelbar mit der Bewältigung der Krise beschäftigt sind. Langsam sind dort auch die Grenzen der Belastbarkeit erreicht. Es wäre wirklich gut, wenn wir jetzt in die endemische Lage kommen würden. Mit Corona gibt es immer wieder neue Herausforderungen und neue Regelungen – zum Beispiel bei großen Veranstaltungen, deren Planungsprozesse dann verändert oder abgebrochen werden müssen. Auch die Herausforderungen für unser Klinikum werden nicht geringer. Das alles führt dazu, dass keine Normalität in der Krise einkehrt. Wenn man in diesem Zusammenhang überhaupt von Normalität sprechen kann.
Wie gelingt es in diesem Ausnahmezustand die sonst noch wesentlichen Themen auf die Straße zu bekommen?
Das gelingt uns deshalb, weil wir hier ein sehr gutes Team haben, das es schafft, trotz der Herausforderungen auch noch an Konzeptionellem zu arbeiten. Einige Herausforderungen können nicht warten, weil Fristen eingehalten werden müssen, beispielsweise der Anspruch auf Ganztagsschulbetreuung bis 2026 oder das Online-Zugangsgesetz zum 1. Januar 2023. Verwaltung ist in einem ständigen Priorisierungsprozess – und ich selbst natürlich auch. Wir versuchen übrige Ressourcen neben der Krisen- und Corona-Bekämpfung zu nutzen, damit die Fristen gehalten werden können. Und es kommt immer etwas Unerwartetes dazu, zum Beispiel die Stadthalle, wo leider kein Generalunternehmer für die Sanierung gefunden wurde. Ich wundere mich schon, in welchen Zeiten wir derzeit leben, was beispielsweise die Situation in der Bauwirtschaft angeht. Die Stadthalle ist solch eine neue Herausforderung, die parallel zu allem Anderen gelöst werden muss – denn hier müssen wir vorankommen, gerade wenn es hoffentlich bald wieder mit Veranstaltungen losgeht. Aber ich bin sehr froh, dass die Verwaltung und die Kolleginnen und Kollegen des Konzerns Stadt Braunschweig an den großen Dingen weiterarbeiten, ohne dass Prozesse gewaltig verzögert werden.
Jeder Oberbürgermeister startet gewiss mit eigenen Schwerpunkten und Vorstellungen ins neue Amt. Wie einfach oder schwer ist es aus dieser Vision, diesen Ideen und Zielen ein gemeinsames Gefühl innerhalb des Kollegiums entstehen zu lassen?
Das erschwert die Corona-Pandemie leider auch. Denn ich bin jemand, der lieber direkt mit den Menschen, den Kolleginnen und Kollegen in Kontakt kommt. Wir haben auch große Prozesse parallel laufen, beispielsweise die Verwaltungsmodernisierung. Hier müssen wir als Stadtverwaltung gemeinsam neues Arbeiten lernen, dazu gehören auch veränderte Teamstrukturen. Die Digitalisierung kann dabei „analoge“ Formate jedoch nicht komplett ersetzen. Beispielsweise waren wir bei dem ersten Verwaltungsmodernisierungsauftakt mit fast 3.000 Menschen in der Volkswagen Halle – so etwas ist derzeit gar nicht möglich. Dieser direkte Kontakt zu den Menschen kann nicht 1:1 ins Digitale übersetzt werden. Wir versuchen diese Hürde so gut es geht zu überwinden, gerade auch im Bereich Schule, Bildung und Jugend, wo schon viel digital umgesetzt wird. Strukturell haben wir zudem umgebaut, sodass wir noch intensiver in die Projektsteuerung gehen, stärker versuchen Synergien zu nutzen und die großen Projekte in der Priorisierung von Seiten der Verwaltungsführung anders zu strukturieren.
Das ein oder andere Thema haben Sie ja schon angesprochen: Welche Oberthemen sind aus Ihrer Sicht in den kommenden Monaten am wichtigsten? Wie können Sie sie erreichen?
Es gibt einige zentrale Projekte, die uns zwar erst in einigen Jahren betreffen, aber jetzt angepackt werden müssen. Im Bereich der Digitalisierung beispielsweise haben wir die Stabsstelle Digitalisierung/Smart-City gegründet, zusätzliche Stellen geschaffen, etwa für das Onlinezugangsgesetz, um Dienstleistungen für die Bürgerinnen und Bürger online zugänglich zu machen. Im Planungsbereich haben wir verstärkt, damit wir das Ziel, bis einschließlich 2025 das Planungsrecht für 6000 zusätzliche Wohnungen zu schaffen, erreichen können. Das ist wichtig, um auch ausreichend bezahlbaren Wohnraum auf den Weg bringen zu können. Im Hochbaubereich müssen wir die Schulen so ertüchtigen, dass wir bis 2026 zum Start des Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung vorankommen. Parallel dazu setzen wir uns für das Klinikum ein und verhandeln auch auf Landesebene dessen Stärkung. Wir haben uns sehr darüber gefreut, als uns die Gesundheitsministerin Ende vergangenen Jahres die erste Tranche der 30 Millionen an Fördermitteln zugesichert hat – hier sind wir stetig in weiteren Gesprächen.
Im vergangenen Jahr wurden die Stadtbezirksräte und der Rat der Stadt gewählt. Welche Plattformen haben Bürger und Bürgerinnen der Stadtgesellschaft noch um sich einzubringen?
Bei allen großen Bauvorhaben gibt es eine gesetzlich vorgeschriebene Bürgerbeteiligung – das bedeutet, alle Bürgerinnen und Bürger können dazu Stellung nehmen. Bei besonders wichtigen städtebaulichen Projekten gibt es eigene Bürgerbeteiligungsformate. Das Integrierte Stadtentwicklungskonzept, kurz ISEK, war ein ganz besonderes Format, da wir Ziele festlegen und besprechen konnten, die die Stadt insgesamt erreichen möchte. Wichtig ist, dass das Besprochene auch umgesetzt wird. Beteiligung macht nur Spaß, wenn man die Folgen und Erfolge sieht. Deswegen wollen wir beim Hagenmarkt noch einmal eine Beteiligung im Umfeld der Preisgerichtssitzung organisieren, die wir so moderieren und steuern können, dass wir nachher umsetzbare Ergebnisse haben, um den Hagenmarkt in eine gute Zukunft zu bringen. Eine der großen Zukunftsherausforderungen ist die Mobilitätswende, wobei beim Prozess zur Aufstellung des Mobilitätsentwicklungsplans viele Beteiligungsmöglichkeiten bestehen. Ein wichtiges Thema mit Bürgerbeteiligung wird mit Sicherheit auch die Frage nach Klimaneutralität und deren Umsetzung sein. Unabhängig davon lebt Kommunalpolitik vom Engagement in Parteien, Vereinen und Initiativen. Daher mein Aufruf: Engagieren Sie sich! Die Politik vor der eigenen Haustür zu gestalten ist spannend!
Sie sind mit einem eigenen Kanal in den sozialen Medien aktiv. Dort und auch an anderer Stelle wird immer mal wieder von „der Stadt“ oder „der Politik“ gesprochen. Wie kann man diese gefühlte Hemmschwelle abbauen und ein gemeinsames Verständnis verst
Indem wir noch deutlicher herausstellen, wie vielfältig der Betrieb Stadtverwaltung tatsächlich ist und wie breit gefächert die Aufgaben. Das zeigt sich zum Beispiel beim Beteiligungsprozess zur Planung der Bahnstadt, bei der die Bürgerinnen und Bürger direkt mit den Kolleginnen und Kollegen aus der Stadtverwaltung zusammenkommen. An dieser Stelle zeigt sich, dass Verwaltung nichts Abstraktes ist, sondern dass sie aus hochengagierten Menschen besteht, die gerne gemeinsam mit Interessierten aus der Stadtgesellschaft Ideen entwickeln. Ich kann nur dafür werben, die Beteiligungsformate wahrzunehmen und konkret an der Zukunft unserer Stadt mitzuwirken.
Apropos Stadtverwaltung. Innerhalb des Konzerns Stadt Braunschweig entstehen ja immer wieder neue Jobprofile – etwa im Bereich von Smart City. Auf dem freien Markt ist der Verdienst gewiss etwas höher…wie begeistert man junge Menschen für die Arbeit
Ganz wichtig ist natürlich, dass wir nach außen für diese Stellen Werbung machen, denn der Einsatzbereich bei der Verwaltung ist wegen des großen Aufgabenspektrums sehr vielfältig. Es gibt so viele unterschiedliche Möglichkeiten wie sonst fast nirgendwo. Man kann dabei gesellschaftliche Prozesse von Beginn an mitgestalten. Zum Beispiel stehen wir vor der Frage, welche Maßnahmen in welchen Zeitabläufen erfolgen müssen, damit Braunschweig bis 2030 klimaneutral werden kann. Hier ist noch nichts festgelegt, sondern es ist möglich, von Anfang an mitzuarbeiten, etwas zu erreichen und am Ende das Ergebnis zu sehen.
Natürlich gibt es Arbeitgeber, die mehr bezahlen, aber auch hier gibt es ein sehr gutes und sicheres Gehalt – es gibt alle Möglichkeiten zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Das ist nicht nur plakativ gemeint: Wir leben es! Bei sozialen Rechten ist Verwaltung natürlich ein Vorbild. Und es ist ein Dienst an der Allgemeinheit: Die Verwaltung vertritt die Interessen aller Bürgerinnen und Bürger und wägt Interessen vernünftig ab.
Gibt es innerhalb der Stadtverwaltung eigentlich Strukturen, bei denen Sie sich fragen: Wieso machen wir das überhaupt so?
Die Hierarchie ist hier gar nicht so groß wie man denkt und gerade das konzeptionelle, projektbezogene Arbeiten nimmt stetig zu. Hier gehen wir bereits neue Wege. Es gibt sehr viel Spielraum, und dazu kommt, dass wir einen großen Generationenwechsel erleben. Genauso wie in anderen Unternehmen verlässt uns hier langsam die sogenannte Babyboomer-Generation. Die Chance durch den Generationenwechsel ist außerdem groß, da insbesondere in den 90er und 2000er Jahren aufgrund der Haushaltssituation an Personal gespart wurde. Deswegen müssen wir seit einigen Jahren wieder vermehrt einstellen – und das führt dazu, dass umso mehr jüngere Kollegen und Kolleginnen dazu stoßen. Das ermöglich neue Perspektiven. Am Ende kann eine Verwaltung jedoch nur erfolgreich sein, wenn die Jüngeren auch von den erfahrenen Kräften lernen. Es ist wie immer im Leben: Die Mischung machts!
Das heißt: Die jüngere Generation stellen andere Ansprüche und Anforderungen an ihre Arbeit? Macht sich das bemerkbar?
Ja, auf jeden Fall! Insbesondere, da neue Arbeitswelten und -formen natürlich auch viel stärker nachgefragt werden. Außerdem nimmt die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, also ein gut ausbalanciertes Verhältnis zwischen Arbeit- und Privatleben, einen größeren Stellenwert ein. Hier wollen wir natürlich Vorbild sein. Wenn die Corona-Pandemie einen positiven Effekt hatte, dann, dass die Digitalisierung und die Homeoffice-Fähigkeit noch einmal deutlich nach vorne gebracht wurde. Natürlich war an dieser Stelle auch schon vieles in Planung. Aber durch die Pandemie wurde der Prozess deutlich beschleunigt. Dementsprechend bauen wir auch neue Dienstgebäude, bei denen auch neue Arbeitsformen entscheidend berücksichtigt werden.
Was möchten Sie – mit Blick auf den Start in das Jahr 2022 – den Lesern und Leserinnen mit auf den Weg geben?
Ganz eindeutig: Zuversichtlich bleiben! Es wird besser als wir denken, davon bin ich überzeugt. Und wenn alle an einem Strang ziehen, dann ist es hoffentlich die letzte Welle, die wir bewältigen müssen – oder zumindest die letzte Welle, die uns so stark einschränkt. Wenn wir alle zusammenhalten und wir uns nicht auseinanderbringen lassen, dann wird das ein gutes Jahr.