Achterkerke-Geschäftsführerin Nora Pagels
Ein anhaltendes Geben und Nehmen
Noch immer ist die Bildung eines Kindes stark abhängig von der finanziellen Situation und dem Bildungsgrad der Eltern. Sich einen akademischen Weg zu bahnen, ist häufig an viele Anträge auf finanzielle Unterstützung gekoppelt. Zudem kostet es viel Energie und den Mut, stetig an sich zu glauben und nicht aufzugeben. Nora Pagels hat genau das geschafft – mit der Hilfe der Achterkerke Stiftung, die auf Usedom und in Braunschweig gezielt Kinder aus einkommensschwachen Familien in ihren Talenten fördert oder beim Studium unterstützt. Nach einer Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau holte Nora ihr Abitur nach, anschließend folgte ein BWL-Studium. Während des Studiums kam die gebürtige Ahlbeckerin mit der Achterkerke Stiftung in Kontakt und es dauerte nicht lange, bis Stiftungsgründer Heinz-Egon Achterkerke beschloss, sie zu fördern. Ihre Bachelorarbeit schrieb Nora dann in der Achterkerke GmbH in Braunschweig. Inzwischen ist die gerade mal 30-jährige Wahlbraunschweigerin Geschäftsführerin der Achterkerke GmbH und Vorstandsmitglied der gleichnamigen Stiftung – eine inspirierende Erfolgsgeschichte, die einerseits Noras Fleiß und starken Willen widerspiegelt; gleichzeitig aber auch die enorm wichtige Bedeutung des Ehrenamts aufzeigt. Wir haben Nora Pagels zum Interview getroffen und mit ihr über ihren besonderen Werdegang gesprochen.
Nora, wie kam es dazu, dass du von der Stiftung Achterkerke gefördert wurdest?
Vieles ist durch mehrere Zufälle passiert. Ich habe BWL in Stralsund studiert und in den Semesterferien in der Stiftungsvilla ausgeholfen. Dort lernte ich Heinz-Egon kennen und nachdem ich ihm meine Geschichte erzählt habe, wollte er mich gerne unterstützen, damit ich mich voll und ganz auf mein Studium konzentrieren kann. Dann bin ich in die Begabtenförderung aufgenommen worden und durfte sogar zwei Mal für einen Sprachkurs nach London reisen. Letztlich konnte ich meinen Bachelor auch mit 1 abschließen. Obwohl ich auf Usedom großgeworden bin, habe ich von der Stiftung vorher nichts mitbekommen. Dennoch verbanden Heinz-Egon und mich schnell einige Gemeinsamkeiten – er kommt selbst aus einfachem Hause und hat es geschafft, zu studieren und sich alles selbst zu erkämpfen. Mit der Zeit ist er wie ein Pate für mich geworden – jemand, der sich für mich interessiert und mich unterstützt. Und das ist eines der zentralen Ziele der Stiftung: Begabtenförderung – ganz egal, ob im Bereich Bildung, Sport oder Musik. Das Talent eines Kindes soll nicht aufgrund des Geldbeutels der Eltern verloren gehen.
Wie sahen dein Alltag und dein Studium aus, bevor du die Unterstützung bekommen hast?
Sehr voll! (lacht) Ich hatte zeitweise zwei Jobs; habe nebenbei in einer Bäckerei gearbeitet, im Einzelhandel ausgeholfen oder gekellnert. Zwar bin ich durch meine vorherige Ausbildung ganz gut im Studium klargekommen, allerdings konnte ich mich erst dann voll und ganz darauf konzentrieren, mir auch mal das ein oder andere Buch kaufen und einfach mehr rausholen. Es war alles in allem eine große Erleichterung.
"Das Talent eines Kindes soll nicht aufgrund des Geldbeutels der Eltern verloren gehen."
Hast du zuvor schon Versuche unternommen, Stipendien zu bekommen?
Nein. Ich habe BAföG bekommen, aber damit konnte ich eigentlich nur die Miete bezahlen. Deswegen die Nebenjobs.
Warum engagierst du dich gerne in der Stiftung – aus Dankbarkeit für die damalige Unterstützung oder einfach, um etwas Gutes zu tun?
Ich glaube, das eine schließt das andere nicht aus. Erst vor wenigen Tagen habe ich wieder einen Artikel darüber gelesen, dass Kinderarmut in Deutschland noch immer ein riesiges Thema ist und Kinder aus einkommensschwachen Familien nicht nur geringere Bildungschancen haben, sondern auch die Gesundheitsversorgung schlechter ist. Das vergisst man häufig. Wenn man den Kindern aber mehr Aufmerksamkeit schenkt und dadurch ihre Talente erkennen würde, könnten diese gefördert werden. Ich glaube, jedes Kind hat und ist ein Talent. Es muss nur mehr Leute geben, die da sind und das erkennen – denn viele Eltern können das nicht leisten. Da wollen wir als Stiftung ansetzen und das finde ich einfach absolut unterstützenswert – natürlich auch aufgrund meiner eigenen Geschichte. Es steckt so viel Potenzial in vielen Familien, das nicht rausgeholt wird.
Was war als Kind dein Traumberuf?
Ursprünglich wollte ich Modedesignerin werden. Ich war immer sehr fasziniert von Mode, von dieser Kunst am Menschen. Handarbeit fand ich eh immer toll. Es hat aber leider nicht geklappt. Damals gab es noch mehr Bewerber als Lehrstellen. Weil ich aber keine Lücke im Lebenslauf wollte, habe ich dann eine Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau gemacht, obwohl das eigentlich nicht das war, was ich wollte. Im Nachhinein hätte ich stattdessen gerne ein Soziales Jahr oder Ähnliches gemacht, um mich einfach noch ein wenig mehr auszuprobieren. Ich habe eigentlich viele Interessen – Marketing, Personal oder Unternehmensführung – konnte mich aber nie festlegen. Nach der Ausbildung war das BWL-Studium für mich eine logische Konsequenz – allerdings hätte ich damals nie gedacht, dass ich das schaffen kann. Ich dachte immer, das schaffen nur Kinder, deren Eltern Ärzte oder so sind. Es war niemand da, der gesagt hat: „Nora, du schaffst das. Alles, was du dir vornimmst, kannst du schaffen.“ Ich habe mir nach all der Zeit immer wieder selbst bewiesen, dass das aber eben doch geht – wenn man sich anstrengt und sich dahinterklemmt. Mir ist das nicht zugeflogen, ich musste schon auch viel dafür tun. Und heute habe ich tatsächlich den Beruf, der alles vereint, was ich gerne mache.
Inzwischen bist du Geschäftsführerin – welche Ziele können jetzt noch kommen?
Als Reiterin kann ich da in Reitmetaphern antworten: Das Pferd ist so schnell losgaloppiert, dass ich jetzt erstmal ein bisschen im ruhigen Schritt gehen muss. Alles hat sich sehr schnell entwickelt, in vielerlei Hinsicht bin ich auch ins kalte Wasser gestoßen worden. Damit komme ich auch gut zurecht, aber jetzt muss ich erstmal sattelfest werden. Dieser Verantwortung, die ich gerade trage, will ich gerecht werden und dafür muss ich nun auch einiges leisten. Natürlich möchte ich auch einiges weiterentwickeln und so haben wir nun schon einige Projekte begonnen, in denen ich mich selbst verwirklichen kann. Es gibt viele Aufgaben, an denen ich mich sehr lange abarbeiten kann. Diese Ziele zu erreichen, ist aktuell erstmal genug.
Stichst du als weibliche Führungskraft bei Wirtschaftstreffen heraus?
Nein, zum Glück gar nicht. Hier in Braunschweig gibt es viele wirklich tolle, taffe Frauen, die ein Unternehmen führen oder selbst gegründet haben. Ich finde, es ist eigentlich gar kein Ding mehr, dass Frauen da besonders auffallen. Vielleicht ist mein Themengebiet ein bisschen speziell, aber ansonsten braucht sich Braunschweig, was das angeht, wirklich nicht verstecken.
"In Braunschweig gibt es viele wirklich tolle, taffe Frauen, die ein Unternehmen führen oder selbst gegründet haben. "
Was stehen dieses Jahr für Stiftungsprojekte an?
In diesem Jahr steht die Umwelt ein wenig im Fokus. Darüber hinaus wollen wir versuchen, die Stiftung auch in Braunschweig zu stärken, denn vieles fand in der Vergangenheit auf Usedom statt. Hier in Braunschweig schauen wir jetzt, wo wir unsere Nische finden, denn im Gegensatz zur Insel gibt es hier ja schon viele Stiftungen. Wir suchen hier also aktuell unsere Position, um tolle Projekte zu starten und unseren Beitrag zu leisten.
Vermisst du die Insel ab und zu?
Ich wollte sowieso weg von Usedom – ganz unabhängig vom Studieren. Ich hatte es dort einfach irgendwann satt. Ich wollte gerne irgendwo neu anfangen, wo ich so genommen werde, wie ich bin. Hier in Braunschweig fühle ich mich pudelwohl, es ist so vielfältig, so grün und man kann vieles unternehmen. Wenn ich jetzt mal auf Usedom bin, kann ich es inzwischen wieder in vollen Zügen genießen – vor allem die Natur. Dann stehe ich früh auf, gehe am Strand laufen und mache Fotos. Das habe ich früher natürlich nicht gemacht, wenn ich an der Promenade zur Schule gelaufen bin. Jetzt nehme ich das Meer wieder aktiv wahr.
Was würdest du gerne Kindern aus einkommensschwachen Familien mit auf den Weg geben?
Dass man sich nicht damit abfinden muss, in welchem Nest man geboren wurde. Es ist schwierig, sich einen eigenen Weg zu erkämpfen. Man muss sich ein Stück weit auch abkapseln, denn das Umfeld ändert sich, die Sprache ist auch eine ganz andere. Dafür braucht man Mut, aber man kann es schaffen. Deutschland bietet da glücklicherweise auch sehr viele Möglichkeiten – ich habe zum Beispiel Berufsausbildungsbeihilfe und BAföG bekommen. Natürlich muss ich das zurückzahlen, aber jetzt kann ich es mir auch leisten. Diese Chancen sollte man nutzen.
Was willst du gerne noch loswerden?
Wo die Reise noch hingehen wird, wird sich zeigen. Ich wurde in Braunschweig toll aufgenommen – auch in höheren Unternehmerkreisen. Ich werde hier genommen, wie ich bin, und dafür bin ich sehr dankbar. Ich weiß bei Problemen immer, an wen ich mich wenden kann und von daher bin ich hier rundum glücklich und zufrieden.
Das sind schöne Abschlussworte. Alles Gute für dich!
Weitere Infos zur Achterkerke Stiftung gibt es hier.
Ein Beitrag von Louisa Ferch, 31. Januar 2023