Glöckchenbaum erinnert künftig an die Opfer des KZ
174 Namen aus 15 Ländern
Im KZ-Außenlager Schandelah-Wohld starben während des Zweiten Weltkriegs rund 200 Menschen unter unmenschlichen Bedingungen. Die Künstlerin Yvonne Salzmann will daran erinnern, dass sie mehr waren als bloße Zahlen – sie hatten Namen, Leben, Geschichten. Ein Glöckchenbaum auf dem Gelände der Gedenkstätte trägt künftig 174 dieser Namen und macht ihr Schicksal hör- und sichtbar. Neben der Unterstützung der Braunschweigischen Landessparkasse (BLSK) trug besonders das Engagement der gesamten Gemeinde dazu bei, dieses Projekt zu realisieren. Am 30. April werden die Opfer aus insgesamt 15 Ländern im Rahmen der jährlichen Gedenkfeier geehrt.
1944 wurde in Schandelah ein Außenlager des Konzentrationslagers Neuengamme errichtet. Etwa 800 Gefangene mussten dort unter unmenschlichen Bedingungen Ölschiefer abbauen. Hunger, Kälte, unzureichende Wasserversorgung, Misshandlungen und Erschießungen durch das Wachpersonal führten zum Tod von rund 200 Häftlingen. „Wir lernen nur, wenn wir nicht vergessen“ – dieser Satz steht auf dem Gedenkstein der 1985 errichteten Gedenkstätte KZ Schandelah-Wohld in der Gemeinde Cremlingen. Er mahnt, die Erinnerung an die vielen Opfer lebendig zu halten.
Mehr als nur eine Zahl unter vielen
Die Künstlerin Yvonne Salzmann, in Schandelah aufgewachsen, fühlt sich diesem Thema seit jeher tief verbunden: „Ich hatte immer das Gefühl, dass dieser Teil der Geschichte oft zu wenig Beachtung findet – oder sogar verdrängt wird“, erklärt sie. Dieses Empfinden wuchs über die Jahre und entwickelte sich zu dem Wunsch, aktiv zur Erinnerungskultur beizutragen. Nach ersten Bildungsprojekten an Schulen suchte Salzmann nach einer Möglichkeit, auch ihre künstlerische Arbeit gezielt in den Dienst des Gedenkens zu stellen.
„Plötzlich hatte ich das Bild von Glocken vor Augen – ihr Klang im Wind berührt auf besondere Weise die Sinne“, erzählt Salzmann. So begann sie, kleine Glöckchen zu gestalten, in die sie die Namen der Opfer eingravieren ließ. Diese sollen künftig an einem Gedenkbaum hängen – demselben Baum, den der ehemalige Gefangene Victor Malbecq einst auf dem Gelände der Gedenkstätte pflanzte. „Uns war es wichtig, jedem Menschen einen Namen zurückzugeben. Diese Menschen sollen nicht länger nur anonyme Zahlen in der Geschichte sein. Sie alle hatten Namen, Leben, Geschichten“, sagt Salzmann.
Unterstützt wurde sie dabei von Dr. Diethelm Krause-Hotopp, Autor des Buches „Das Konzentrationslager Schandelah-Wohld 1944–1945“, mit dem sie bereits in gemeinsamen Workshops mit Schüler:innen zusammenarbeitete. In aufwendiger Recherche konnte Krause-Hotopp die Namen von 174 Opfern aus 15 verschiedenen Ländern ermitteln. „Mit dem Glöckchenbaum wird neben dem sichtbaren Andenken (Informationstafeln und Relikte) auch hörbar an die Opfer erinnert. Dies ermöglicht einen weiteren Zugang zur Geschichte dieses Konzentrationslagers“, so der Historiker.
Ein Projekt, das verbindet
Die Bürger:innen der Gemeinde Cremlingen setzen gemeinsam mit Salzmann ein starkes Zeichen: Sie unterstützen das Projekt durch Spenden – ebenso wie die Braunschweigische Landessparkasse. „Durch Projekte wie dieses im Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus wird nicht nur die Erinnerung an eine dunkle Zeit wachgehalten. Zugleich ist es eine Mahnung für uns alle, unseren Beitrag dazu zu leisten, sich aktiv für ein durch Toleranz und Respekt geprägtes Miteinander einzusetzen“ so Marion Thomsen, Pressesprecherin der BLSK.
Besonders am Herzen liegt der Künstlerin auch die Einbindung junger Menschen. So helfen Mitglieder der Jugendfeuerwehr Schandelah beim Aufhängen der Glöckchen. Auszubildende von Volkswagen entwickelten spezielle Klöppelverlängerungen, die den Windwiderstand erhöhen und so den Klang der Glöckchen verstärken. Dr. Krause-Hotopp wird außerdem einen Vortrag für Jugendliche auf dem Gelände der Gedenkstätte halten, um Geschichte vor Ort erfahrbar zu machen. Auch die Initiative denkdeindorf, die die lokale Gemeinschaft stärken soll und das soziale und kulturelle Miteinander über die Dorfgrenzen hinaus fördert, unterstützt das Glöckchenbaumprojekt im Rahmen ihrer Aktivitäten.
„Uns wurde dieser Zugang zur Geschichte damals kaum vermittelt. Umso mehr hoffe ich, dass wir heute junge Menschen erreichen und für das Thema sensibilisieren können“, so Salzmann.
Dank der Unterstützung des Kulturvereins Schandelah und der Otto-Dippe-Stiftung wird das Projekt zudem filmisch dokumentiert. Der Filmemacher Thomas Knüppel begleitet das Vorhaben und erstellt einen Film, der künftig auch in Schulen gezeigt werden kann.
Am 30. April: Gedenkfeier erinnert an die Opfer
80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs lädt die Gemeinde Cremlingen am 30. April erneut zur jährlichen Gedenkfeier um 17:15 Uhr am Gedenkstein in Schandelah-Wohld ein. Zuvor wird um 16:30 Uhr auf dem Friedhof in Scheppau ein Kranz niedergelegt. Hier werden fünf mit Namen der Opfer versehene Grabsteine der Öffentlichkeit übergeben. Bisher waren die Namen dieser Verstorbenen „Unbekannt“.
Die Gedenkfeier findet gemeinsam mit den belgischen Gästen der Amicale Belge de Neuengamme statt. Hauptredner wird Prof. Dr. Oliver von Wrochem, Vorstand der Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte zur Erinnerung an die Opfer der NS-Verbrechen, sein. Zum Abschluss der Gedenkfeier werden die letzten Namensglöckchen am Baum befestigt. Zu Ehren des letzten Überlebenden des KZ-Außenlagers wird die Gemeinde im Anschluss an die Gedenkfeier im Baugebiet „Im Ackern“ in Schandelah die „Victor-Malbecq-Straße“ benennen. Malbecq, ein ehemaliger belgischer Gefangener, nahm bis zu seinem Tod 2015 regelmäßig an den Gedenkfeiern teil.
Die Gedenkveranstaltung beginnt um 16:30 Uhr. Alle Interessierten sind herzlich eingeladen.
Quelle: PM 22.04.2025