»Der zerbrochne Krug« von Heinrich von Kleist
Als zeitlose Komödie über Manipulation und Lüge
Premiere am 20. September: Ulrike Arnold inszeniert »Der zerbrochne Krug« von Heinrich von Kleist als zeitlose Komödie über Manipulation und Lüge
Als Heinrich von Kleist ab 1802 seine Komödie »Der zerbrochne Krug« verfasste, ahnte er nicht, welch zeitloses Thema er damit zur Sprache brachte. Er schrieb eine #metoo-Geschichte avant la lettre, die vom Machtmissbrauch einer amtlich installierten Autorität, dem Dorfrichter Adam, gegenüber einer jungen Frau, Eve, erzählt, die sich über das Geschehene in Schweigen hüllt.
In Huisum ist Gerichtstag. Dorfrichter Adam allerdings ist schwer lädiert. Er sei, sagt er, früh aus dem Bett aufstehend »über sich selbst gestolpert«. Auch die Amtsperücke fehlt. Zum Überarbeiten weggegeben, an der Kerze entflammt – oder hat nicht nachts die Katze drin gejungt? Steckt in Adams Bericht vom – eher nächtlichen, denn frühmorgend-lichen – Sturz zumindest ein Gran Wahrheit, wird gleichzeitig das Netz von Lügen, die der Richter präsentiert, um seinen Zustand zu erklären, immer wirrer.
Nach der verheerenden Uraufführung, 1808 am Hoftheater Weimar unter der Regie von Johann Wolfgang von Goethe, kürzte Kleist den Text und verbannte Eves abschließen-den langen Monolog, in dem aus ihrer Perspektive schmerzhaft und minutiös rekon-struiert ist, wie es Adam gelingen konnte, sie so in die Enge zu treiben. Der Monolog wurde über lange Jahrzehnte hinweg nicht mehr auf die Bühne gebracht: zugunsten eines »Lustspiels« gab es einen versöhnlichen Schluss. Heute lässt sich das Stück nicht mehr ohne Eves Perspektive spielen. Und spätestens dann kippt auch die Komödie ins Bittere.
Die erzählerische Pointe liegt auf dem Mann, Dorfrichter Adam, der eigentlich die Wahrung der Gesetze garantieren soll, stattdessen aber versucht, mit allen Mitteln seine Position zu sichern. So unterhöhlt er nicht nur ein Rechtssystem, sondern auch das Vertrauen in die Wahrheit, bei Kleist immer ein fragiles Konstrukt. Welchen Fakten ist denn noch zu trauen, wenn permanent manipuliert und unverhohlen gelogen wird, wenn alles offen ist für »Interpretation« und »subjektives Empfinden«?
Regisseurin Ulrike Arnold, aus der Spielzeit 2022/2023 noch gut bekannt durch ihren Braunschweiger »Woyzeck« in der Fassung von Tom Waits, bringt Kleists Klassiker nun im Großen Haus mit ungewöhnlichen inszenatorischen Mitteln auf die Bühne. Sie arbeitet erstmals mit dem Künstler Samuel Weikopf zusammen. In seinen live ent-stehenden und ins Bühnenbild projizierten Zeichnungen spiegelt sich die in Kleists Sprache angelegte Mehrdeutigkeit. Des Richters »alternative Fakten« werden darin ebenso plastisch wie kritisch konterkariert. Arnold zerlegt eine Gesellschaft, die es nicht (mehr) schafft, solidarisch zu sein, in der nur die subjektive »Wahrheit« zählt, um den eigenen Hals zu retten und eigene Interessen durchzusetzen.
Am Staatstheater Braunschweig wurde »Der zerbrochne Krug« zuletzt vor 38 Jahren in der Spielzeit 1986/1987 auf die Bühne gebracht. Heinrich von Kleists »gebrechliche Einrichtung der Welt« zählt zum Pensum des niedersächsischen Abiturs im Fach Deutsch und erscheint aktuell brisanter denn je.
Der zerbrochne Krug
Schauspiel von Heinrich von Kleist
Regie: Ulrike Arnold
Bühne & Kostüme: Cleo Niemeyer-Nasser, Una Jankov
Live-Zeichnung: Samuel Weikopf
Musik: Johannes Mittl
Dramaturgie: Katharina Gerschler
Mit Georg Mitterstieler (Gerichtsrat Walter), Robert Prinzler (Dorfrichter Adam), Götz van Ooyen (Gerichtsschreiber Licht), Saskia Petzold (Frau Marthe Rull), Lina Witte (Eve, ihre Tochter), Mattias Schamberger (Veit Tümpel, ein Bauer), Valentin Fruntke (Ruprecht, sein Sohn), Saskia Taeger (Frau Brigitte)
Premiere am Freitag, 20. September 2024, 19:30 Uhr
Weitere Vorstellungen: 22. September, 06., 11., 19. und 26. Oktober, 21. und 30. November, 15. und 18. Dezember, 03., 15. und 31. Januar sowie 15. und 18. Februar
Großes Haus
Tickets über www.staatstheater-braunschweig.de, Telefon 0531 1234 567 und an der Theaterkasse
Quelle: PM 09.09.2024