Im Gespräch mit der Stadt Braunschweig
"Auf einer Mobilitätsskala von 1-10 ist Braunschweig eine 8"
Die Metropolregion Hannover Braunschweig Göttingen Wolfsburg zählt mit drei anderen Regionen zu den nationalen „Schaufenstern Elektromobilität“ (2012-2015). Unter dem Motto „Unsere Pferdestärken werden elektrisch“ sind in diesem Zeitraum zahlreiche, zukunftsweisende Maßnahmen ergriffen worden, E-Mobilität zu fördern und auszubauen. Im Interview stellt Klaus Benscheidt (Fachbereichsleiter Tiefbau und Verkehr der Stadt Braunschweig) heraus, warum gerade unsere Region in Sachen Mobilität weit vorne ist, warum nicht nur „E“ dazu beiträgt und, wie er Braunschweigs Mobilität in 15 Jahren sieht und plant!
BS-Live!: Auf einer Skala von 1-10, wie mobil ist Braunschweig und die Region deutschlandweit, europaweit, weltweit?
Klaus Benscheidt (Stadt Braunschweig): Ich habe mich für eine „8“ entschieden. Das liegt an der sehr guten Erreichbarkeit auf diversen Wegen. Durch den Mittellandkanal und den Stichkanal bei Salzgitter haben wir eine direkte Verbindung zu Hamburg und der Welt über den Wasserweg. Die ICE Direktverbindungen nach Berlin, Frankfurt oder Basel sorgen für eine schnelle Anbindung über die Schiene und das Autobahnnetz aus der A2, der A39 und der A36 über die Straßen. Dazu kommt der internationale Flughafen Hannover plus der Forschungsflughafen in Braunschweig, der einzigartig ist.
Und auch innerhalb der Stadt Braunschweig liegen wir mit unserem Bus- und Bahnnetz, und dem hohen Anteil an Fahrradstraßen bundesweit vorne. Fahrradstraßen machen in der Innenstadt sogar fast ein Viertel der Straßen aus. Die Bausteine sorgen für einen flüssigen, international angebundenen Verkehr für alle Teilnehmer. Diese Infrastruktur in Kombination mit den hier niedergelassenen wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Größen sowie der Mischung aus kurzen Wegen, Stadt und Land schaffen eine überdurchschnittlich hohe Lebensqualität in unserer Metropolregion.
BS-Live!: Das war auch der Grund für die Ernennung als eines von drei nationalen „Schaufenstern der E-Mobilität“?
Klaus Benscheidt (Stadt Braunschweig): Genau. Wir sind und waren bereits ein Testfeld für autonomes Fahren und E-Mobilität. Mit den hier angesiedelten, international renommierten Forschungsstätten wie dem DLR, der Technischen Universität, der Ostfalia, dem Cluster an Mobilitätsforschungseinrichtungen am Forschungsflughafen, Volkswagen und der hohen Dichte an Startups rund um Mobilität ist die Metropolregion deutschlandweit einzigartig. An kaum einem anderen Standort sind Forschung und Praxis so eng verzahnt mit der Stadt.
Eine maßgebliche Rolle spielt hier die Anwendungsplattform AIM, ein Reallabor für wirtschaftlich hoch relevante Fragen wie unter anderem auch E-Mobilität. Wir als Stadt ebnen den Weg für die Forschung am direkten Geschehen zum Beispiel durch die Forschungskreuzung am Rebenring. Große Teile des Braunschweiger Straßennetzes werden als Modell im DLR übertragen. Und das in Echtzeit! Damit gewährleisten wir große Datenmengen unter realen Bedingungen über lange Zeiträume.
"Ein Netzwerk von Großstädten und Akteuren"
BS-Live!: Was macht unsere Region zur Metropolregion?
Klaus Benscheidt (Stadt Braunschweig): Die Metropolregion Hannover Braunschweig Göttingen Wolfsburg ist seit 2009 eine von 11 Metropolregionen in Deutschland. Bei der Ernennung ging es um Wettbewerbsfähigkeit von Forschung und Entwicklung aus einem überregionalen, europäischen Blickwinkel. Anders als eine gewachsene Metropole ist die Metropolregion ein Netzwerk von Großstädten und deren Akteuren. Mit dem Ziel, Stärken zu bündeln, somit die Stärken nach außen hin sichtbarer zu machen und dadurch wiederum Fördergelder zu gewinnen, stimmen sich die Oberbürgermeister der Kommunen parteiübergreifend ab. In diesem Kontext spielt Mobilität eine übergeordnete Rolle.
BS-Live!: Haben Sie Vorbildstädte oder Regionen?
Klaus Benscheidt (Stadt Braunschweig): Nicht direkt. Jedoch lassen wir uns auf vielfältige Art und Weise von Verkehrsplanern auf der ganzen Weltinspirieren. Themenbezogen gibt es immer Vorbilder, zum Beispiel Kopenhagen für den Radverkehr. Persönlich begeistert mich das Ruhrgebiet, eine Metropolregion, deren Bevölkerung sich tatsächlich wie eine gewachsene Metropole fühlt und verhält. In unserer Region werden von oben Stärken gebündelt und die Identifikation der einzelnen Zentren ist hier sehr ausgeprägt.
BS-Live!: Welche konkreten Neuerungen gibt es seit der Ernennung des „Schaufensters E-Mobilität“?
Klaus Benscheidt (Stadt Braunschweig): Es wurden 17 Schnell-Ladesäulen für E-Autos aufgestellt, die bislang noch der Nachfrage von den circa 800 in Braunschweig gemeldeten E-Fahrzeugen gerecht werden. Das wissen wir, da wir regelmäßig deren Auslastung messen und immer noch Reserven vorhanden sind. Am meisten ist die Ladesäule am Schloss frequentiert. Da wir die Säulen nicht als Stadt betreiben wollen, haben wir den Betrieb der 17 Schnell-Ladesäulen dem Braunschweiger Unternehmen Kom|Dia übertragen, einem Tochterunternehmen der BS|Energy und der Thüga AG. , Aktuell bereiten wir die Ausschreibung einer stadtweiten Konzession für weitere Ladesäulen vor. . Das heißt, wir suchen einen externen Betreiber für weitere Ladesäulen, die im ganzen Stadtgebiet aufgestellt werden sollen. Mit einem Gutachter klären wir die Rahmenbedingungen, indem wir weitere Standorte und den Bedarf bis 2030 ermitteln.
Auch die Stadt selbst hat einige E-Dienstwagen in Betrieb. Ein Teil des neuen Dienstfahrzeugkonzeptes, welches zukünftig komplett auf E-Autos in Kombination mit E-Bikes, Fahrrädern, Stadtbahn und Bus umgestellt werden wird.
Auch im Bereich Fahrrad und Öffentlicher Nahverkehr hat sich vieles im E-Bereich getan: auf der Linie 419 fahren bereits fünf grüne „Emil-Busse“. „Emil“ steht für Elektroantrieb mit induktiver Ladung. In der Poststraße vor Karstadt bauen wir gerade Schließfächer, in denen man sowohl seinen E-Bike Akku wie auch sein Handy oder andere Elektrogeräte unterwegs laden kann.
Lade-Infrastruktur im Ausbau
BS-Live!: Welche Neuerungen kommen bei der Bevölkerung gut an?
Klaus Benscheidt (Stadt Braunschweig): Generell kommen Veränderungen Richtung E-Mobilität und weg vom Auto als Hauptverkehrsmittel gut an. Die Stadtbahn ist schon seit Jahrzehnten elektrisch.
Der Kauf von E-Autos wird von uns durch exklusive Parkplätze am Hauptbahnhof und an der Martinikirche und kostenloses Parken über drei Stunden im Stadtgebiet gefördert. Bisher verschenkt BS|Energy den Strom an den Ladesäulen sogar. Besorgt man sich die entsprechende Ladekarte, erhält man also den Strom für sein E-Auto kostenfrei. Dazu kommt die Kaufprämie für E-Fahrzeuge vom Bund.
E-Bikes kommen generell super an. Durch die Markteinführung der Pedelecs kam es zu einem regelrechten Boom, was wir begrüßen, aber woran wir direkt keinen Anteil haben.
BS-Live!: Werden Umfragen gemacht?
Klaus Benscheidt (Stadt Braunschweig): Nicht generell. Allerdings fangen wir durch regelmäßige Anfragen, Lob oder Beschwerden ständig ein Meinungsbild auf, welches wir stets in unseren Maßnahmen berücksichtigen. Konkrete Projekte wie der Stadtbahnausbau oder die Aufstellung des neuen Mobilitätsentwicklungsplans werden aber in Braunschweig mit sehr intensiver Öffentlichkeitsbeteiligung und Transparenz durchgeführt. Das hat sich sehr bewährt, weil wir dabei von der Bevölkerung lernen und die Ergebnisse besser werden.
BS-Live!: Was sind generell die Kriterien für oder gegen eine Maßnahme im Zuge neuer E-Mobilität-Infrastruktur?
Klaus Benscheidt (Stadt Braunschweig): Bei der weiteren Lade-Infrastruktur kommt es auf das Netzwerk an Akteuren an. Das sind nicht wir allein. Dabei geht es zu 80 bis 90 Prozent um Anschlüsse und Parkflächen im privaten Bereich zuhause, beim Arbeitgeber, Supermarkt oder beim Kino. Der Rest ist dann wieder öffentlicher Raum, der uns betrifft. Außer dem Platz und den Kosten bzw. Betreibern für die Säulen geht es auch darum, ob und für wie viele E-Autos genug Strom da ist, ausreichend Leitungen mit entsprechender Leistung. Diese Fragen gilt es aktuell zu klären.
"E-Roller Verleih in Braunschweig voraussichtlich im Sommer"
BS-Live!: Könnten Sie etwas zu dem Stand des geplanten E-Rollerverleihs sagen?
Klaus Benscheidt (Stadt Braunschweig): Rechtlich darf man sie nutzen, es gibt einen Markt dafür und auch wir wollen uns als Stadt dem nicht verschließen. Allerdings wollen wir die Nutzung nur unter bestimmten Regeln wie das Abstellen nur an ausgewiesenen Plätzen etc. und haben uns daher mit einem Anbieter abgestimmt, der sich dazu bereit erklärt. Sobald die Corona-Krise für solche Aspekte wieder Raum lässt, wird der E-Roller-Verleih auf den Weg gebracht werden.
BS-Live!: Wie bewerten sie die aktuelle Nutzung von E-Roller, E-Auto, Segway und Co.?
Klaus Benscheidt (Stadt Braunschweig): E-Autos und E-Bikes sind da, willkommen, werden auch von uns gefördert und werden; sollen mehr werden. Segways kommen bei Stadtführungen gut an, sind in meinen Augen aber zu exotisch, um ein reguläres Verkehrsmittel zu werden.
BS-Live!: Worin sehen Sie Verbesserungsbedarf? Was sind die größten Hürden oder Baustellen?
Klaus Benscheidt (Stadt Braunschweig): Natürlich die große E-Auto-Frage, wo man parken und laden kann, die sich über Stromnetz und Anbieter ergeben muss. Dabei gibt es nicht DIE Patentlösung. Die aktuelle Konzession (Ausschreibung) ist ein wichtiger Schritt zur Lösungsfindung.
E-Mobilität ist auch nicht die Patentlösung für alles. ÖPNV, Fahrrad und Fuß sind immer noch der wichtigere Teil der Mobilität in der Innenstadt. Dabei geht es perspektivisch um breitere Fußwege, um bequem flanieren zu könne, auch mal nebeneinander zu mehreren. Dass es einfach schön ist, sich zu Fuß durch die Stadt zu bewegen. Der Wohlfühlfaktor für Fußgänger und Radfahrer und eben auch alle Menschen, die nicht E-Auto oder generell Auto fahren können, wollen oder dürfen, ist eine unserer wichtigsten „Dauerbaustellen“.
Mehr "E", mehr Stadtbahn und mehr "Wohlfühlfaktor"
BS-Live!: Was sind die nächsten Projekte und Pläne?
Klaus Benscheidt (Stadt Braunschweig): Ganz konkret der Stadtbahnausbau nach Rautheim und Volkmarode.
Außerdem der brandaktuelle Mobilitätsentwicklungsplan (in dem wir die Frage beantworten: wie wird Mobilität 2030 aussehen?) den meine Kollegin Claudia Fricke erarbeitet. In diesem Kontext sind auch Umfragen geplant. Eine Studie zur Mobilität und Logistik in Bezug auf z.B. Lieferverkehr in der Fußgängerzone wird aktuell von der Wirtschaftsförderung erstellt. Weitere Bausteine sind das bereits erwähnte Ladesäulenkonzept sowie das integriertes Klimaschutzkonzept der Umweltverwaltung, bei dem es viele Verknüpfungen zur Mobilität gibt.
BS-Live!: Wie sehen sie Braunschweigs Mobilität und Infrastruktur in 15 Jahren? (Werden noch Autos in der Stadt sein? Umnutzung von Parkflächen und Parkhäusern etc.)
Klaus Benscheidt (Stadt Braunschweig): eben diese Fragen klärt Frau Fricke und ihr Team aktuell im Rahmen des Mobilitätsentwicklungsplans. Autos werden weiterhin dabei sein, hoffentlich überwiegend elektrisch. Was ich aber an der Stelle auch bereits sagen kann: es wird definitiv weniger Autos und weniger Parkplätze geben. Stattdessen wird mehr Platz für Fußgänger und Radfahrer eingeräumt werden. Mobilität ist viel Gefühl. Im Sinne von Vorbildern für hohe Lebensqualität wie München, Amsterdam und Co. gibt es die Vision, Straßen generell zu begrenzen und dadurch den „Wohlfühlfaktor“ zu erhöhen. Da, wo weniger Autos stehen, da stehen dann hoffentlich auch Bistrotische, wo wir dann wieder beim Lebensgefühl sind.
BS-Live!: Was wäre Ihr Wunsch für die zukünftige Mobilität von Braunschweig und die Region?
Klaus Benscheidt (Stadt Braunschweig): Im Grunde genommen das Gleiche: bewusster, leiser, grüner, auch im städtischen Raum, mit Gewinn an Lebensqualität. Aber auch, dass die umliegenden Orte immer mehr an die Stadtzentren heranwachsen und die Region noch mehr zusammenwächst. Da sind im Bereich Stadtbahn und Busse noch viele Linien und Taktungen ausbaubar.
Vielen Dank für das Interview
Ein Beitrag von Kathrin Rieck für BS-Live!