Nikolaus-Tag oder: Wieso ist der Schuh leer?
Als kleines Kind war für mich das Schönste in der Weihnachtszeit der Abend vor dem 6. Dezember, wenn ich meine Schuhe rausstellte und hoffte, dass ich am nächsten Morgen Schokolade oder Ähnliches drin finden würde. Diese Tradition blieb bei uns sehr lange erhalten, und sobald ich alt genug war, um zu erkennen, dass meine Eltern der "Nikolaus" waren, versuchte ich auch ihnen eine Freude zu machen. Seitdem vor fast drei Jahren Labrador Jamie bei uns einzog, gab es keine gefüllten Nikolaus-Schuhe mehr. Das Risiko, dass sich der Quatschkopf Schokolade klaut, war einfach zu groß, denn selbst Schuhe ohne Inhalt sind für ihn schon sehr spannend und durchaus lohnenswertes Diebesgut.
Die Schwierigkeit mit einem Labrador zusammen zu wohnen, besteht nämlich darin, dass dieser ein notorischer Schuhdieb ist. Schuhe, Socken, Handschuhe was nicht niet- und nagelfest sitzt, oder in Schubladen verstaut, wird geklaut und ins Körbchen verfrachtet. Das ist eine seiner liebenswürdigen Macken, an denen wir arbeiten, aber die wir auch erst mal hinnehmen müssen. Trotzdem, nach zwei Jahren ohne gefüllte Schuhe an Nikolaus, und nach zwei Jahren liebevoller Erziehung, möchte ich in diesem Jahr endlich den Versuch wagen.
Der erste Schritt führt mich in den Supermarkt. Man könnte denken, es ist doch leicht etwas zu finden, womit sich ein Schuh füllen lässt. Mein Freund, mit dem ich zusammen wohne, liebt Schokolade, doch da Schokolade pures Gift für unseren pelzigen Mitbewohner ist, kommt diese leider nicht in den Einkaufswagen: Stattdessen ein Apfel, eine Banane und eine Packung Walnüsse. Die Freude meines Freundes auf Nikolaus schwindet, die des Hundes steigt vermutlich, denn er weiß ja noch nichts von seinem Glück.
Zuhause angekommen folgt Schritt zwei: Einen geeigneten Schuh finden. Aus Erfahrung weiß ich, was mein Hund mit einem Schuh anstellen kann. Es wäre also ziemlich dumm einen hochwertigen oder dem Herzen wichtigen Schuh zu nehmen. Damit fallen alle Schuhe im Haushalt weg, bis auf meine Gummistiefel. Diese werden also schön sauber geputzt bei den Gummistiefeln ist das auch wirklich nötig, denn normalerweise trage ich diese weniger bei Regen, sondern eher bei Jamies und meinen Ausflügen durch den Matsch. Während im am Waschbecken stehe und die Schuhe sauber mache, hat mein kluger Hund bereits Lunte gerochen und steht neben mir, aufmerksam schauend, damit er auch ja nichts verpasst. "Diese Schuhe sind nicht für dich die fülle ich für mich und Herrchen!" erkläre ich ihm; ja, mein Hund versteht mich. Vermutlich denkt er sich: "Es ist schön Frauchen, wie optimistisch du bist, ich weiß doch längst was du vor hast." Vielleicht denkt er auch gar nichts, oder hofft, dass es mal wieder Fressen geben könnte. Während ich darüber nachdenke, was in diesem kleinen Hundekopf wohl vor sich geht, putze ich die Gummistiefel fertig und bin erstaunt, dass sie blau sind. Ich dachte immer, sie wären braun.
Schritt drei macht mir am meisten Spaß, denn nun geht es ans Füllen der Schuhe. Ich überrasche zwar weniger mich, und eher meinen Freund, aber trotzdem freue auch ich mich schon auf den nächsten Morgen. In jeden Gummistiefel kommen ein Apfel, eine Banane und eine liebevoll zugeknotete Weihnachtsserviette mit ein paar Nüssen drin. Nun muss ich nur noch einen Platz dafür finden. Ich entscheide mich schließlich für unser Flurregal, denn so hoch oben kommt der Hund niemals an, und mein Freund sieht die gefüllten Gummistiefel, bevor er zur Arbeit fährt. Ich schlafe also selig ein, fühle mich fast wieder wie ein Kind, das den Nikolaus-Morgen kaum erwarten kann.
6. Dezember: Es ist Nikolaus! Ich husche schnell aus dem Bett, mein Freund ist schon lange bei der Arbeit und Jamie hat mich noch gar nicht geweckt sehr untypisch, denn schließlich will er sonst immer pünktlich Frühstücken. Im Flur auf dem Boden liegt eine Serviette, und da ahne ich Böses. Im Regal steht nur noch ein Gummistiefel. In ihm befindet sich eine halbe, angesabberte Banane und sonst nichts. Die andere Hälfte der Banane finde ich auf dem Weg ins Wohnzimmer. Was passiert ist, ist völlig klar und der Blick aufs Handy bestätigt das Ganze. Eine SMS von meinem Freund verrät mir, dass sein Gummistiefel heute früh auch schon leer war. Innerlich koche ich. Ich bin nicht sauer auf meinen Hund, der kann nichts dafür, denn ich wusste schließlich wie hoch das Risiko ist, dass er auf einmal fliegen lernt, um oben ans Regal zu kommen. Ich bin eher sauer auf mich, dass ich das Risiko eingegangen bin. Die Bananenmatsche auf dem Boden lässt mich dann doch ein bisschen sauer werden, doch der Blick aufs Sofa macht für mich alles wieder gut. Denn da schläft mein Kleiner Schuhdieb, sichtlich zufrieden neben mit seiner Beute, auf dem Sofa. Bei dem Anblick kann man doch nicht mehr böse sein, oder?
Wir wünschen euch einen fröhlichen Nikolaus und hoffen, dass ihr im Gegensatz zu mir - gefüllte Schuhe vorgefunden habt!
Text: Annika Schwedhelm