Im Gespräch mit Stefan Verra
Stefan Verra gehört zu den gefragtesten Körpersprache-Experten im deutschsprachigen Raum. Der gebürtige Österreicher ist Trainer für internationale Großunternehmen, TV-Experte, Dozent an drei deutschen Universitäten und Buchautor. Bei seinen Bühnenshows entschlüsselt er mit fundiertem Fachwissen, fesselnder Bühnen-Präsenz und großem Unterhaltungswert die Geheimnisse der non-verbalen Kommunikation wie kein anderer und versteht sich darauf, wissenschaftliche Erkenntnisse zur Sprache unseres Körpers leicht verständlich und überaus humorvoll zu vermitteln. Im April ist sein neues Buch "Hey, Dein Körper flirtet" erschienen. Wir haben das zum Anlass genommen, um uns mit Stefan Verra darüber zu unterhalten, worum es in seinem neuen Werk geht.
Vor einem Jahr hast Du Dein Buch "Hey, Dein Körper spricht" veröffentlicht und gerade ist Dein nächstes Buch herausgekommen. Es trägt den Titel "Hey, Dein Körper flirtet!". Ist das die Fortsetzung Deines letzten Buches?
Nein, es ist keine Fortsetzung. "Hey, Dein Körper spricht" beschäftigt sich mit Körpersprache im Allgemeinen. Es sollte den Menschen Grundsätzliches näherbringen und Mythen über die Körpersprache ausräumen. Bei "Hey, Dein Körper flirtet!" geht es um das Essentiellste, warum es uns Menschen überhaupt gibt, es geht um die Partnerschaft zwischen Mann und Frau. Es ist so gesehen also keine Fortsetzung, sondern eher eine Vervollständigung des ersten Teils.
Im Vorwort betonst Du, dass das Buch kein Ratgeber ist, wie man jemanden schnell abschleppen kann. Sondern? Worum geht es in "Hey, Dein Körper flirtet"? Kannst Du das mal kurz umreißen?
Ganz grob gesprochen, geht es darum, dass ich nur beschreibe, was wir den ganzen Tag tun: Wir senden Signale aus, die typisch männlich und typisch weiblich sind. Ich werde aber niemals sagen, was jemand tun sollte, um jemand anderen abzuschleppen. Es ist ein Missverständnis, zu glauben, dass, wenn man in einem Frauen- oder Männermagazin liest, man schon mit zwei oder drei Tipps, jeden Mann oder jede Frau dazu bringen könnte, auf einen zu fliegen. Das ist einfach Humbug. Ein Körper ist immer viel, viel mehr als ein Einzelsignal und deswegen kann man kein Ratgeber sein, wenn man Körpersprache seriös betrachten will. Im Buch geht es nur darum, die Menschen sensibel für die geschlechtsspezifische Körpersprache zu machen und den Lesern unsere wichtigste und älteste Kommunikationsform näher zu bringen.
Du beschreibst 153 Körpersprachsignale und Verhaltensmuster in Deinem Buch und das sind ja bei weitem noch nicht alle. Warum hast du Dich für die Beschreibung dieser Signale entschieden?
Ich habe natürlich weitaus mehr geschrieben, aber wir mussten das Buch auf einen lesbaren Umfang reduzieren. Der Gedanke, der hinter dieser Auswahl steckt, ist, dass ich einfach die wichtigsten Merkmale abdecken wollte. Also besonders jene, die man im Alltag immer wieder an sich oder an anderen sieht. Außerdem sollte es ein Anreiz sein, dass die Leute ab jetzt mit offeneren Augen durch den Alltag gehen. Ich schwöre, man wird diese Signale immer wieder bei Männern und bei Frauen sehen. Und ich hoffe natürlich, dass es auch zum Schmunzeln anregt.
Was beim Lesen Deines Buches auffällt, ist der lockere Stil, in dem es geschrieben ist. Wer Deine Videoclips kennt, die Du regelmäßig auf Deiner Facebook-Seite veröffentlichst, wird Dich sofort am Schreibstil erkennen. War Dir das persönlich wichtig oder liegt es vielmehr daran, dass das "Flirtthema" eher etwas Lockeres und Unterhaltsames an sich hat?
Das war auch mein Ziel. Bei mir gibt es keine Co- oder "Ghost"-Autoren, ich schreibe alle Bücher selber und mir ist es immens wichtig, nichts vorzuspielen. Ich spiele auf der Bühne nichts vor, ich spiele im Fernsehstudio nichts vor und in meinem Schreibstil spiele ich auch nichts vor. Ich glaube, das ist sehr wichtig, um authentisch zu sein. Und genau das empfehle ich auch in der Körpersprache.
Ich finde, Deinen Schreibstil bei diesem Buch besonders "relaxt"
Es liegt vermutlich daran, dass ich in so kurzer Zeit das zweite Buch geschrieben habe und mich, wie ich selbst hoffe, weiterentwickelt habe. Es ist mein mittlerweile drittes Buch in diesem Schreibfluss und in diesem "Bei-mir-angekommen-sein" und diese Wirkung kommt vermutlich durch die zunehmende Schreibroutine.
Körpersprache ist in einer persönlichen Kommunikation der Faktor, der uns bewusst oder unbewusst - am meisten beeinflusst. Trotzdem verstehen wir die Körpersprache unseres Gegenübers häufig nicht richtig. Haben wir im Laufe der Zeit die Fähigkeit verloren, die Signale zu entschlüsseln?
Nein, wir haben es nicht verlernt. Es ist nur so, dass sich ab der frühen Pubertät die frontalen Stirnlappen und die Großhirnrinde im Gehirn besonders gut entwickeln. Ab dem Zeitpunkt lernen wir "vernünftig" zu denken. Ein Kind ist im Lesen der Körpersprache unglaublich gut, es weiß sofort, ob Mama oder Papa gut drauf sind. Mit dem "vernünftigen" Denken glauben wir manchmal, uns die Welt erklären zu können, haben aber trotzdem immer noch ein Bauchgefühl. Was ich mit meinen Büchern erreichen will, ist den Leuten zu sagen: Du verlierst nicht den vernünftigen Blick auf die Menschen, wenn Du auch erkennst, dass Dein Bauch nicht nur irgendeine esoterische Sache ist. Ein Bauchgefühl ist einfach eine Sinneswahrnehmung, die noch nicht verbalisiert werden kann. Das heißt, wir verlernen diese Fähigkeit, Körpersprache zu entschlüsseln nicht, sondern überdecken sie einfach nur mit rationalen Erklärungen.
Man könnte also sagen, Du lieferst mit Deinem Buch die Schaufel, um dieses verdeckte Wissen wieder freizulegen!?
Ja, das ist ein guter Vergleich. Die Leute glauben häufig, dass, wenn man auf die Körpersprache achtet, man ein wenig dümmer wird, das stimmt ja gar nicht. Das rationale Denken, das in der Großhirnrinde geschieht, ist natürlich enorm wichtig. ABER: Das Bauchgefühl ist beim Flirten und beim Verlieben das alles Entscheidende. Man kann das zum Beispiel gut anhand von Partnerbörsen erkennen: Da werden bestimmt Kriterien abgefragt: Welchen Beruf soll er haben, welche Haarfarbe usw..!? Und in der Realität verliebt man sich oft genau in denjenigen, der all diese Kriterien dann gar nicht unbedingt erfüllt. Das heißt, dass eine rationale Herangehensweise an das Verlieben von vorne herein zum Scheitern verurteilt ist. Wir müssen also erkennen, dass wir uns zuerst einfach in die Körpersprache des anderen verlieben. Und genau hier haben wir die Verbindung zwischen dem ersten und dem zweiten Buch. Beim ersten Buch geht es um den ersten Eindruck und darum geht es beim Flirten auch. Liebe auf den ersten Blick gibt es nicht, aber die Basis für das VERLIEBEN wird immer in den ersten Millisekunden gelegt und da geht es immer um die Frage, wie der andere körpersprachlich auf mich wirkt.
Inwieweit kann das Wissen über körpersprachliche Signale einen Flirt beeinflussen?
Man kann einen Flirt auf alle Fälle fördern. Wenn dich jemand attraktiv findet, ist es nötig - wenn du das Interesse erwiderst - dem anderen zu signalisieren, dass du nicht abgeneigt bist. Denn viel zu viele Annäherungen zwischen zwei Menschen scheitern allein daran, dass der eine ein offensichtliches Interesse hat, aber vom anderen keine positive Antwort erhält. Und dieses "scheinbar kein Interesse" heißt, derjenige hat vergessen, dem anderen ebenfalls zu signalisieren: Ich bin kontaktbereit! Und dass passiert oft einfach nur aus Schüchternheit oder dass man sich seiner Signale gar nicht bewusst ist. Und meist sind Signale, die man aussenden muss, damit der andere den Mut hat, auf mich zuzugehen, winzig klein. Und genau das beschreibe ich in meinem Buch.
Wer braucht denn mehr "Nachhilfe" in Sachen Körpersprache? Die Männer oder die Frauen?
Die Männer, würde ich sagen. Frauen haben eher einen Blick für Körpersprache. Zu meinen Shows kommen interessanterweise 60 bis 70 Prozent Frauen. Sie haben viel mehr Zugang zur Körpersprache. Das ist auch im Gehirn nachweisbar. Der Hippocampus ist unter anderem der Teil, der dafür verantwortlich ist. Ich nenne es jetzt einfach mal salopp das Empathie-Zentrum. Obwohl der Begriff neurologisch ja ein sehr schwammiger Begriff ist. Aber das ist genau DAS, was bei Frauen besser entwickelt ist. An der Studie, nach der weibliche Babys eher in das Weinen von anderen Babys einstimmen als Jungs-Babys beispielsweise, sieht man sehr gut, dass dieses feine Erkennen von Gefühlen bei Frauen besser angelegt ist. Damit haben sie schon mehr Gespür für die Körpersprache. Und deswegen könnte man umgekehrt auch sagen, dass man den Männern die Körpersprache einfach etwas näherbringen muss, damit sie erkennen, dass das Verlieben nicht über Zahlen, Daten, Fakten funktionieren kann.
Worauf Du immer wieder hinweist, ist, dass man nicht auf Einzelsignale achten soll, sondern auf das Gesamtbild. Wie viele Einzelsignale ergeben für Dich sozusagen das Gesamtbild?
Der gesamte Körper. Die große Kunst der Körpersprache ist es, sie zu lesen. Ich kann jetzt nicht die Zahl 5 oder die Zahl 7 sagen, aber es wird in diese Richtung gehen. Grundsätzlich ist es aber der gesamte Körper. Natürlich beschreibe ich in meinem Buch 153 Einzelsignale, ich schreibe aber zum Beispiel auch: Nur, weil sich eine Frau zwei Mal übers Haar fährt, ist das noch kein sexuelles Signal. Wenn sie sich aber übers Haar fährt, die Fingerspitzen entlangstreicht, den Blick über die Schulter schweifen lässt, ein Bein einknickt, die Hüfte ein wenig ausstellt, sie den Mann dann noch anschaut und mit der Zunge über die Lippen fährt, dann haben wir eine Szene, die wir in einem Film sofort als Flirt- oder sexuelle konnotierte Szene erkennen würden.
Du schreibst zum Beispiel, dass bei Männern der Reiz des Eroberns und des Jagens tief verwurzelt ist. Gleichzeitig leiden Männer aber unter den Hinhaltetaktiken ihrer Angebeteten. Eigentlich ist es ja dann paradox, dass man als Frau die Männer schmoren lassen soll. Aber warum ist es Deiner Meinung nach dennoch wichtig?
Ja, das ist eigentlich total paradox. Männer wollen das aber GENAU SO. Das ist nicht, weil sie alle masochistisch veranlagt sind, sondern, weil wir Männer glauben, wenn sich eine Frau rarmacht und schwer zu erobern ist, dann ist sie eine besonders umworbene Frau mit scheinbar besonders gutem Erbgut. Was eigentlich auf der Hand liegt: Die Frau, die seit frühester Jugend ständig umworben wird, muss sich mehr schützen und daraus schließen wir dann, dass sie ein besonders gutes Erbgut für die Reproduktion besitzt. Und deswegen fliegen wir Männer so da darauf.
Kannst du mal ein paar Merkmale nennen, die Männer an Frauen attraktiv finden?
Zum Beispiel das "Haarkleid". Der weibliche Umgang mit dem Haarkleid erinnert ganz stark an das Balzverhalten von Vögeln, nur mit dem Unterschied, dass wir Menschen keine Balzzeit haben. Frauen investieren seit jeher unglaublich viel Geld und Aufwand in die Pflege ihres Haares und das weltweit - jahrein-jahraus. Und natürlich fliegen Männer besonders auf Signale, die ihm garantieren, dass sie seine Nachkommen besonders gut durchbringen wird. Deswegen sind auch die Brüste ein Hingucker für Männer. Wobei man sagen muss, dass Männer in der Hinsicht relativ simple gestrickt sind: Sie können beispielsweise zwischen den Kniekehlen, dem Ansatz des Pos und dem Dekolleté nicht unterscheiden, wenn sie nur einen Ausschnitt zu sehen bekommen. Ein nacktes Frauenknie kann also durchaus ein attraktives Flirtsignal sein. Hingegen wird ein Männerknie immer nur ein Knie bleiben.
Es liegt an der runden Form. Frauen haben ihr Fett am Körper gleichmäßiger verteilt. Wir Männer bekommen einfach einen dicken Bauch, Frauen dagegen legen am ganzen Körper Fett an und dadurch wirken auch ihre Gelenke viel runder. Das Knie einer Frau ist immer rund und hat viel weniger Kantiges als das Männerknie. Und da kann es natürlich auch schon mal mit der runden Form der Brust verwechselt werden, wie Untersuchungen ergeben haben.
Wie erklärst Du Dir die Faszination in Bezug auf das Thema "Körpersprache"?
Das große Interesse an der Körpersprache ist erwacht, glaube ich, weil die Menschen darauf gekommen sind, dass sich die Welt nicht rational erklären lässt. António Damásio, ein wichtiger Forscher im Bereich der Neurowissenschaft, hat bereits in den 80er Jahren gesagt, dass René Descartes mit seinem "cogito ergo sum" ("Ich denke, also bin ich.") und genau weil ich denken kann, bin ich ein Mensch und nur das Denken definiert mich als Menschen - falsch lag. Er hat dann in den 1980er Jahren daraus gemacht: Ich FÜHLE und deswegen bin ich auch Mensch! Ich glaube, die Menschen erkennen zwar, dass das Denken wahnsinnig wichtig ist. Aber warum haben wir dann so oft ein Bauchgefühl? Warum wählen die Menschen die AfD, obwohl die nicht mal ein Parteiprogramm haben? Wenn wir so rational entscheiden würden, dann wäre diese Partei ja nicht mal existent. Nicht, weil das rational erklärbar ist, sondern weil das ein Gefühl ist. Und beim Flirten ist es genau das Gleiche. Auch hier halten rationale Erklärungen nicht. Deswegen glaube ich, dass die Menschen nach einer tieferen Erklärung dürsten, die unser Leben beschreibt. Und die Körpersprache ist die ehrlichste Information, an der ich erkennen kann, ob der andere an mir interessiert ist oder ob er es nur vorspielt. Keine andere Kommunikation kann das.
An wen richtet sich das Buch speziell?
Es richtet sich an Menschen ab der Pubertät. Wie Du ja weißt, verwende ich bei meinen Bühnen- und Fernsehauftritten niemals Zweideutigkeiten oder Fäkalausdrücke. Mein Sprachstil soll so sein, dass sie von der frühen Jugend bis ins hohe Alter gelesen werden kann. Das Schöne ist ja, dass wir als Geschlecht nicht alleine auf dieser Welt sind und wir immer jemanden haben, der uns im positiven Sinne reizt, weil wir uns in ihn verlieben, der aber manchmal auch ein Reibebaum ist. Wie langweilig wäre denn das Leben, wenn es nur Männer oder nur Frauen gäbe!? Man könnte die Zielgruppe auch so zusammenfassen, dass sich mein Buch sich an alle richtet, die an den Signalen des anderen Geschlechts interessiert sind. Das schließt übrigens auch homosexuelle Menschen ein. Deswegen habe ich Schwulen und Lesben jeweils eigene Kapitel gewidmet.
Und was kommt als nächstes? Hast Du schon Pläne für ein neues Buch?
Ich sammle so viele Ideen und schreibe so viel, dass ich auf jeden Fall noch weitere Bücher schreiben werde. Außerdem gibt es noch so viele Dinge, die gesagt werden müssen, weil ich ein so starker Kämpfer gegen dieses Halbwissen, was das Thema Körpersprache anbelangt, bin.
Stefan, vielen Dank für das tolle Gespräch. Und natürlich viel Erfolg mit Deinem neuen Buch!
Interview: Dipl.-Päd. Kerstin Lautenbach-Hsu, Fotos Severin Schweiger