Im Gespräch mit Bernd Gieseking
Vorfreude auf einen turbulenten Rückblick 2018
Der Dieselskandal, das Ende der Ära Merkel und das vorzeitige Ausscheiden bei der WM – „Ach jaaa, das ist ja auch noch dieses Jahr passiert!" zählt neben spontanen Lachern und Schmunzelattacken zu den häufigsten Reaktionen bei Bernd Giesekings Auftritten. Sein Spezialgebiet: Jahresrückblicke. Genauer gesagt: satirische Jahresrückblicke. Ebenso viel schmunzeln muss ich im Gespräch mit dem 60-jährigen Kabarettstar, als er mir von seiner Leidenschaft für ungewöhnliche Biografien, seinen amüsanten Gedanken zur aktuellen Politik und geheimen Wünschen, wie einmal in der Haut von Karl May und Angela Merkel zu stecken, berichtet.
Am 20. Dezember wird der mehrfach ausgezeichnete und erst kürzlich mit dem Karlsruher Kinderhörspielpreis prämierte Autor und Kolumnist zum ersten Mal einen Solo-Auftritt in der Brunsviga hinlegen. Nach einem turbulenten Jahr 2018 und einer ganz persönlichen Rückkehr in seine alte Heimat Minden fiel es ihm mal wieder überhaupt nicht schwer, all die spannenden Rückblicke rund um Politik und Gesellschaft auf sein 90-minütiges Erfolgsformat zu komprimieren.
Im Interview verrät er, warum er sich schon auf Braunschweig freut, wie er es schafft, sich all die Dinge zu merken und warum er sich für die Beziehung zwischen Braunschweigern und Hannoveranern mehr Gelassenheit wünschen würde.
BS-LIVE!: du bist ja als "Urvater des Jahresrückblicks" bekannt und bald zum 25. Mal damit auf Tour. Wie bist du darauf gekommen?
Bernd Gieseking: Ich habe damals viel Radio gemacht und ein Freund von mir hat 1994 eine Ausstellung in Kassel für die Documenta organisiert. Achim meinte: "Mensch Bernd, trag doch mal alles vor, was von dir in diesem Jahr im Radio war." Und ich dachte: "Oh Gott, das will doch keiner hören!" Aber wir machten dann doch zwei Tage daraus. Und siehe da: beide ausverkauft! (lacht).
BS-LIVE!: Ist ja auch super spannend - man lässt so ein Jahr gerne nochmal Revue passieren.
Bernd Gieseking: Ja, das macht großen Spaß. Wir haben gerade sogar eine Doppel-CD mit einem Rückblick auf die letzten 25 Jahresrückblicke mit dem Titel "Ab dafür! Deluxe!" produziert. Gemeinsam mit dem großartigen Kollegen Jochen Malmsheimer! Und mit Dolly, dem Klon-Schaf. Das ist ein sehr schönes Zeitdokument geworden.
BS-LIVE!: Also schafft ein Jahresrückblick den richtigen Überblick?
Bernd Gieseking: Genau! Das ist hochspannend - eine ganz tolle Form von Erinnerungskultur! Und für mich als Künstler ist eine besondere Sache, Aufgabe oder auch Ehre , der Chronist der Menschen an immer neuen Orten zu sein. Im Programm sind auch bestimmte Formen, Kolumnen, die Stammzuschauer geradezu erwarten, Szenen aus meiner „Stammkneipe“, der „Fischlounge“ oder Einwürfe von Konfusion, dem großen ostwestfälischen Weisen. (lacht) Genauso spannend ist es natürlich jetzt mit Braunschweig, wenn ich hier zum ersten Mal einen Solo-Auftritt haben werde.
BS-LIVE!: Was hat dich 2018 am meisten aufgeregt und beschäftigt?
Bernd Gieseking: Was mich wirklich aufgeregt hat, ist die Art und Weise wie Seehofer in der Regierung agiert hat, wie er mit der Kanzlerin umgegangen ist. Wie kommt das? 1990 kam Merkel in den Bundestag und wurde bereits 1991 Ministerin, als Seehofer erst bloß Staatssekretär war. Und seitdem muss sich Seehofer anscheinend über diese Frau zu Tode ärgern. Wie er sie auf der Bühne behandelt - man kann das nur in den Worten des großen deutschen Philosophen Wolfgang Petry beschreiben: seither macht er ihr das Leben zur Hölle, Hölle, Hölle!
BS-LIVE!: War 2018 ein "gutes" Jahr für dich als Künstler?
Bernd Gieseking: Also, so richtig schlechte Jahre gibt es sowieso nicht, weil immer was passiert! Aber dieses Jahr war sehr besonders. Es gab diese Persönlichkeiten wie Robert Habeck von den Grünen, der sich neu prominent in Szene setzt, aber auch die großen Themen wie die Digitalisierung oder auch die Heimat.
BS-LIVE!: Wirklich komplex die Themen. Aber das ist ja auch dein Verdienst, dass du in dieses Wirrwarr über lange Zeiträume Licht hineinbringst.
Bernd Gieseking: Naja, ich knobele da lieber an Sprachbildern: darin wird Merkel „Bollwerk und Ballerina auf dem internationalen Parkett" und Kramp-Karrenbauer wird zur „Doris Day“ der CDU.
BS-LIVE!: Was sind deine Vorbilder?
Bernd Gieseking: Zum einen ganz klar Werner Finck, ein großartiger Künstler, der von den Nazis verfolgt wurde. Er sah von der Bühne im Kabarettkeller aus einige Gestapo-Leute in Uniform im Publikum sitzen, die mitschrieben, und da hat Fink auf der Bühne den berühmten Satz gesagt: "Kommen Sie mit? Oder muss ich?" Mit dieser Doppeldeutigkeit zu arbeiten, selbst in dieser damals für ihn lebensgefährlichen Situation, das halte ich nach wie vor für ein ganz ergreifendes Künstlerleben. Und dann liebe und verehre ich Franz Hohler, den großen Kabarettisten und Literaten aus der Schweiz, der immer auch Literatur für Kinder schrieb, auch damit ist er Vorbild für mich.
BS-LIVE!: Du hast schon einige Kindersachen gemacht?
Bernd Gieseking: Ja, ich schreibe Kinderbücher und -hörspiele und habe gerade den Kinderhörspielpreis der Stadt Karlsruhe bei den ARD-Hörspieltagen bekommen. Darüber bin ich ehrlich gesagt sehr stolz und glücklich! Für "Ab nach Paris!" - eine Geschichte über eine Großmutter, die 1968 in Paris war, und jetzt wieder hinfährt. Und über ihre Enkel, die sich dann an ihre Fersen heften.
BS-LIVE!: Hast du Rubriken im Jahresrückblick?
Bernd Gieseking: Konfusion, der große ostwestfälische Weise, sagt, „das Schöne am Erinnern ist, es hilft gegen das Vergessen!“ Ein wichtiger Teil in meinen Jahresrückblicken ist dann auch die Erinnerung an große Jubiläen wie 50 Jahre 1968 oder 100 Jahre Frauenwahlrecht und ähnliches.
Wie war das nochmal? Ach das war auch 2018?
BS-LIVE!: Wie kannst du dir das alles merken?
Bernd Gieseking: Das ist tatsächlich ein kleines Problem, da ich selber im Wesen etwas unordentlich bin (lacht). Ich habe stapelweise Zeitungen, wo ich Dinge angekreuzt habe. Aktuell habe ich eine wöchentliche Kolumne beim Hessischen Rundfunk, dadurch kommt natürlich das ein oder andere Thema in den Kopf. Und ich schreibe regelmäßig für die TAZ Wahrheit Kolumnen. Und all dies wird dann ein 90-Minuten-Konzentrat.
BS-LIVE!: In welcher Haut würdest du gerne stecken? Und in welcher nicht?
Bernd Gieseking: (lacht auf). Das ist ja mal eine originelle Frage! Also ich nehme jetzt mal einen der schon tot ist. Ich wäre gerne für einen Tag Karl May. Er war ein großartiger Schriftsteller und schwieriger Charakter. Aber diese unfassbare Phantasie, in dieser blumigen Sprache über ferne Welten zu sprechen, obwohl er selber nie dorthin gereist ist, das hat mich schon immer sehr fasziniert. Und im Sinne des Films „Being John Malkovitch“- würde ich gerne einmal in Kanzlerin Merkels Gehirn stecken und herausfinden, wie witzig sie eigentlich wirklich ist.
BS-LIVE!: Ist denn seit deinem ersten Jahresrückblick was besser geworden?
Bernd Gieseking: Erstmal finde ich, dass wir in einer tollen, freiheitlichen Gesellschaft leben. Und auch das in dieser Zeit stark gewachsene ökologische Bewusstsein. Dass wir merken, was wir mit dieser Welt machen und dagegen ansteuern. Vom Atomausstieg bis zur aktuellen No-Plastic-Bewegung. Und auch zu sehen, wie stark das in die Politik aufgenommen wurde! Nicht nur bei den Grünen. Das ist großartig!
BS-LIVE!: Auf was darf sich Braunschweig freuen?
Bernd Gieseking: Die Braunschweiger können sich auf einen fröhlichen, satirischen Abend mit einem turbulenten Rückblick auf das Jahr 2018 freuen, der mit viel Lust und Spaß alles nochmal Revue passieren lässt, was mir auf- und eingefallen ist. Ich freue mich sehr auf meinen ersten Solo-Abend dort.
BS-LIVE!: Was sind die Pläne für 2019?
Bernd Gieseking: Für das nächste Jahr liebäugle ich mit meinem ersten Roman und einem neuen Kinderhörspiel.
BS-LIVE!: Was würdest du BS und der Welt für 2019 wünschen?
Bernd Gieseking: Dass wir mit größerer Vorsicht und mehr Spaß miteinander umgehen. Dass die Politiker Lösungen finden, die im Sinne dieser Menschheit sind und es uns irgendwie gelänge, die Kriege und die Armut weiter einzudämmen. Auch wenn das wie Allgemeinplätze klingt, mir ist das ganz ernst. Und ich habe lange in Dortmund gelebt und wir hatten diese Stadtrivalität mit Gelsenkirchen, BVB und Schalke, und daher würde ich Braunschweig und Hannover mehr Gelassenheit untereinander wünschen (lacht verschmitzt).
Vielen Dank für die spannenden Einblicke in das Leben eines Kabarettisten.
Mehr Infos zu seiner Biografie und seinen Werken findet ihr hier.
Ein Beitrag von Kathrin Rieck für BS-LIVE!