Kenny kriegt die Krise - Tiefschneekrise
Kenny kriegt die Krise
Das ganze lange Jahr freut man sich auf die tollen Tage, die eine Woche, in der es zählt, wo man die Sau rauslassen kann und das Kind im Manne durchgehend so breit ist, dass man auch die gefährlichsten Stürze vom Tresen meist mit lediglich kleinsten Blessuren übersteht, nicht zuletzt dank des halben dutzend Gemütsgenossen die den freien Fall mit ihren Waschbär- Bäuchen abfangen. Was für den Rheinländer der Karneval, ist für den Hamburger der Skiurlaub.
Nach ausgiebiger Vorbereitung ist es dann auch endlich soweit und der Berg ruft. Doch dann versaut es einem tatsächlich die ganze schöne und vor allem kostspielige Woche mit derartig penetrant anhaltendem Schneegestöber, dass man die daheim so gern präsentierte, goldene Après-Ski Bräune noch mal eben schnell im Ghettotoaster nachkaufen muss. Das Bier schmeckt bitter im Kuhstall, wenn die Sonne sieben Tage auf sich warten lässt. Alle tun sich gleich viel schwerer beim ausziehen, und was ist der Skitag schon wert, wenn"s hinterher beim kollektiven Besäufnis nicht wenigstens ein paar Nackerte zu sehen gibt?!
Über all das tröstet einen auch die gekonnt aufreizende Performance der leicht bekleideten Osteuropäerinnen auf dem Gogo-Po-dest der Dorfdisco kaum hinweg. Naja, immer noch besser als nichts. Das und drei Flaschen Wodka mit Flügeln lassen am Ende wenigstens den ersten Abend versöhnlich ausklingen.
Und den zweiten, dritten, vierten und sechsten. Dazwischen heißt es sportliche Höchstleistungen erbringen, zumindest soweit der mit alkoholischen Aufputschgetränken unterspülte Organismus die wesentlichsten Funktionen aufrecht zu erhalten vermag. Gegen Ende der Woche werden die Hüttenpausen immer länger, aus Mittagessen wird Nachmittagstrinken und der Übergang zwischen Pré- und Après-Ski verschwimmt immer auffälliger. Am letzten Tag geht"s vom Skibus direkt in die Kneipe was niemandem mehr auffällt, geschweige denn stört. Kein Wunder bei minus dreißig auf der Piste und Windgeschwindigkeiten, von denen selbst Katrina nur träumen durfte.
Und da die Zeit ja immer schnell verrinnt, wenn man sich so amüsiert, sind sieben Tage so schnell dahin wie sieben Fässer Wein. Die konnten uns nicht gefährlich sein. Wenn auch ein gewisser intellektueller Verfall bei allen Beteiligten nicht gänzlich von der Hand zu weisen war
Wie dem auch sei, irgendwann schließt man nun mental mit der kalten Jahreszeit und der idyllischen Bergwelt ab und bereitet sich vor auf den Heimweg in Richtung Meereshöhe, als einem doch tatsächlich ein, die gesamte Republik mit lieblichem Zuckerguss überziehendes Schneechaos in die Quere kommt. Die weiße Pracht ist schon eine rechte Gaudi, wenn man später nicht unbedingt noch was vorhat - München-Hamburg: sechzehn Stunden, das hat man auch schon schneller gesehen. Meine Meinung zu streikenden Winterdiensten brauche ich an dieser Stelle wohl genauso wenig kund zu tun wie meine überschwängliche Freude über den immer monströser anmutenden Müllberg in meinem Innenhof. Danke Ver.Di!
Immerhin hielt sich der Geruch in Grenzen, bei im März ja immer gern gesehenen minus 15 Grad nördlich der Elbe.
Mein inneres Barometer hatte sich bereits auf Strand und Bikini eingepegelt, als mich, am folgenden Morgen auf meinem Balkon, dreißig Zentimeter Neuschnee wach küssten. Die Moonboots also wieder ausgepackt, lange Unterhose angezogen, Polarexpeditionsanorak übergeworfen und in der beheizten U-Bahn erstmal gediegen 22 Liter Wasser ausgeschwitzt. So fangen Tage an, an denen Helden gezeugt werden. Wenn man denn rechtzeitig wieder aus der Skiunterwäsche rauskommt.
Kaum im Büro angekommen steht sie im Raum. Die Frage, die zählt.
"Na, wie war"s, gut erholt?!"
"Und ob! Nächstes Jahr wieder, Freunde!"
Text: Hendrik Menz (hendrik@menzmusic.com)