Kenny kriegt die Krise - Karnevalskrise
Kenny kriegt die Krise - Karnevalskrise
Da ist sie nun vorbei, die jecke Zeit. Für den einen oder anderen verheißt der Aschermittwoch den Beginn eines dreiviertel Jahres Langeweile. Als gäbe es sonst nix im Leben. Arme Schweine. Als ich mich am Freitag nach Weiberfastnacht als Discjockey auf einer Geburtstagsparty verdingen musste, da ein Kollege krank geworden war und ich als passionierter Gutmensch niemanden seine Geburtstagsparty komplett ohne korrekte Beschallung verbringen lassen würde (schon gar keinen Runden) nahm das Drama seinen Lauf. Der vierzigste Geburtstag des netten Jubilanten ließ sich sehr gemächlich an und das durchwachsene Publikum nervte stetig mit sich penetrant wiederholenden Musikwünschen zwischen "Ein Stern, der Deinen Namen trägt" und "Du hast mich tausend mal belogen". Alles andere als begeistert und doch so nichts ahnend was mich später noch erwartete, gewährte ich ein um den anderen Gassenhauer und ließ sogar die Augen der 12jährigen Tochter des Gastgebers und deren bester Freundin für einen Moment hell erstrahlen, als ich verkündete "Nevada wer? Ich schau mal.... ok, hab ich was dabei!". Tokio Hotel hatte ich glücklicherweise nicht dabei. Wirklich nicht. Viel tiefer hätte ich ja auch schon nicht mehr sinken können, als im Urwald meiner "Bravo Hits" und "The Dome" mp3- Sammlung die Meilensteine aktueller deutscher Teeniekultur zu exhumieren. Viel ist schon über diese Teeniephänomene gesagt, geschrieben und gelästert worden. Aussagen wie "die größten Musiker sind sie ja vielleicht nicht, aber die Songs sind schon gut, dass muss man zugeben" kann ich aber leider nicht teilen. Fakt ist, ich muss gar nichts zugeben! Erst recht nicht dann, wenn es um eine Gruppe junger Leute geht, deren Anführer ein gesprengtes Stachelschwein auf dem Kopf als letzten Schrei propagiert. Pelztiere haben Peta aber wer macht sich mal für die armen Kreaturen der pieksigen Fraktion stark?! Ich würde vorschlagen Jessica Alba. Da hätten nicht nur Igel was davon!
Doch zurück zur Party, die mittlerweile den Unterhaltungswert einer nachmittäglichen Kochshow erreicht hatte. Kurz nach zwei. Die Stimmung hatte ihren Zenit meilenweit überschritten, die Kinder waren bereits heim ins Bett gebracht und in den Gesichtern der verbliebenen Gäste erkannte man langsam aber sicher den Wechsel vom anglizistischen zum romanischen, von "Party" zu "partire". Da passierte es.
Der Alkohol- Pegel hatte offensichtlich den "kölsche Pungd'" erreicht und als der Bruder des Geburtstagskindes mir nun sein Kleinod von selbstgebrannter Karnevals- CD überreichte, erinnerte sich der verbliebene Teil der Anwesenden urplötzlich ihrer rheinischen Wurzeln und derer so eigenen, so wunderbar widerwärtig aufgesetzten "Frööölischkeit". Wie sich herausstellt, waren Gastgeber, dessen Familie und einige der ältesten und "bästen Frünnde", allesamt ein Haufen an die Waterkant geschwemmter Exilkölner. Wie von Geisterhand wechselte der Dialekt des CD- Eigentümers von reinstem hochdeutsch zu kölschem Geschnatter. "Komm Jüngele, spi'l ma' dä drai, dä sieve un' dä älf!" schallte es über den Tresen zu mir herüber. Verständig nickend nahm ich die CD an mich und schob sie in das linke Schubfach des Doppel-CD-Players. Noch ahnte ich nicht was hier "Tsunami- Style" auf mich zu kam. Der erste Blick auf die fein säuberlich mit "Nero Cover Designer" ausgedruckte Tracklist, ließ zunächst den Eindruck zu, es handele sich hier um ein Album einer einzigen bestimmen Karnevals-Kombo, selbiges verhieß auch die Überschrift "Best Of !!!!!" mit fünf (in Zahlen: 5) Ausrufezeichen. Bei zweimaligen Hinschauen stellte ich wiederum fest, das doch verschiedene Interpreten etwas zum Besten zu geben hatten. "De Höhner" UND "De Blääck Fööös". Falsch geschrieben? Rächt so!
Nachdem die erste Reihe an Titelwünschen mit "Viva Colonia", "Wenn nischt jätzt, wann dann?" und "Dicke Mädsche haben schöne Namen" (!!!!!) durchgelaufen war, hatte die zerebrale Degeneration der Anwesenden ihren Lauf genommen. Die nächsten Wünsche schlugen ein wie Napalm und ließen selbst die Tresenkräfte in einer euphorischen Begeisterungswelle "wenn mir kölsche singe... singt selbst der Herrjot mit" grölen. Aus einer geheimen Kammer unter der Bar, wurde nun noch, unter kreischendem Jubel, vor allem der verbliebenen weiblichen Volltrunkenen, ein Kasten Gaffel Kölsch hervorgezaubert, der alle Augen zum Leuchten brachte, wie ein Atomtest das Mururoa.
Die CD war mittlerweile von vorne bis hinten durchgespielt. Wer meint, das wäre es dann gewesen, irrt leider sehr. Denn jetzt hatten erst alle die ganzen Texte wieder so richtig drauf und konnten, wenn auch leicht durch das alte Schwamm-Zungen-Syndrom gehandicapped, erst so richtig schön mitgrölen. Verzeihung, singen natürlich.
Tätäää, tätäää, tääääääää.
Sieben "Der Sultan zieht weiter", vier "Kölle, Du bes de Stadt", neun "Wenn mer Kölsche singe", sechs "Superjeilezick", sieben "De Hände zum Himmel", drei "Isch bin ne Räuber" und natürlich fünf "Eschte Frünnde, stonn zusamme'!" war die stolze Bilanz des dann folgenden Gelages mit Gesang.
Es tagte bereits über dem Hafen und wäre es einen Tag später gewesen, so hätte die geschäftige Unruhe des Fischmarkts vor der Tür, wahrscheinlich schon dem einen oder anderen Trunkenbold gemächlich seinen Aufbruch in den Sinn kommen lassen. So war es die Frage einer der betrunkensten jungen Damen auf einem Barhocker schräg vor mir, die dem Zusammensein ein jähes Ende bescheren sollte. "Sachd ma'... wann jeht eijendlisch eure Zuch?". Wie mir später zugetragen wurde, war bereits eine Gruppenkarte bei der deutschen Bahn für die meisten der verbliebenen Gäste gelöst worden. Abfahrt 11.30 Uhr. Nach Köln. Karneval feiern. Die Mehrzahl der Mitfahrer hatte offensichtlich am Freitag abend etwas "den Fuß vom Gas" nehmen wollen, um sich für die Strapazen in der alten Heimat zu schonen. Das Konzept war fast aufgegangen.
Text: Hendrik Menz (hendrik@menzmusic.com)