Kenny kriegt die Krise - Endjahreskrise
Kenny kriegt die Krise
Wieder einmal ist ein ganzes, schönes Jahr dahin gegangen, und alles was einem zu sagen bleibt ist: "Wo ist das bloß wieder geblieben?!"
In einem affenartigen Tempo fliegt die Zeit an uns vorbei und hinterlässt nichts als Krater in unseren Gesichtern und eigenartige Anekdoten, die man später den desinteressierten Enkelkindern als traurige Höhepunkte eines, doch eigentlich in den eigenen Augen ganz unterhaltsamen Lebens auftischt. Woher kommt sonst der Spruch, "wie die Zeit vergeht wenn man sich gut amüsiert"?! Spaß ist es ja beileibe nicht immer, aber zurückblickend erscheint es subjektiv doch immer so, als hätte man jede Menge Amüsement und Kurzweil in seiner Zeit gehabt.
Nur ein, zwei Generationen vor meiner eigenen war der Trend noch genau anders herum. Nachkriegskinder hatten nicht sehr viele gute Erinnerungen. "Wir wären damals froh gewesen wenn wir so etwas gehabt hätten" kam bei meinen Großeltern zu so ziemlich jeder erdenklichen Gelegenheit zum Einsatz. Oft in absurden Ausmaßen. Mochte man mal den Spinat, die Schwarzwurzeln oder den Grießpudding nicht essen, wurde man sofort moralisch torpediert, mit einem "wenn Mutter damals einmal in der Woche eine ranzige Kartoffel mit nach Hause brachte, war das zusammen mit einem Fingerhut voll Butter ein Festmahl für mich und Tante Elisabeth, Onkel Horst, Onkel Jonas, Tante Gabi, Vetter Heinz, Cousine Edelgard "
Bis heute erschließt sich mir unsere Familienstruktur nicht annähernd zur Gänze, wahrscheinlich weil ein Großteil der handelnden Personen bereits seit weit vor meiner Geburt die Radieschen von unten betrachtet. (Verhungert?)
Mit Sicherheit behaupten kann ich aber, dass keines der unzähligen Geschwister und keiner der Verwandten, die damals auf dem Bauernhof meines Urgroßonkels im Alten Land als Flüchtlinge untergekommen waren, die "Eine- Kartoffel- Story" jemals auf einer Familienfeier faktisch untermauert hätten. So manch andere lustige oder befremdliche Geschichte fand allerdings, nach der sechsten Flasche Doppelkorn, doch schon mal ungeschönt Erwähnung.
So wird zum Beispiel die Legende von der alleingelassenen Tochter von Generation zu Generation weitergereicht. Mechthild (Name v.d.R. geändert!) wurde im zarten Alter von acht Jahren von ihren Eltern allein zu Haus zurückgelassen. Wie einfallsreich Kinder in diesem jungen Alter dennoch bereits sein können, bekamen wir bereits in den Achtzigern, an so alltagskongruenten Geschichten wie der des kleinen "Kevin", vortrefflich veranschaulicht. Ähnliche Entschlossenheit in einer Krisensituation bewies nämlich auch die junge Mechthild als sie sich entschloss einem schwer erkrankten Huhn, aus rein edlen Motiven, um ihm Schmerzen zu ersparen nämlich, spontan den Kopf mit einem Schlachtbeil abzutrennen. Gesagt, getan, wie die kleinen Racker eben so sind, schon lief das Federvieh kopflos im Hof herum. Bildlich gesprochen.
Es ist eine Tatsache, dass die Aktivität der Muskeln und Nerven auch nach der Trennung von ihrer Schaltzentrale noch ein ordentliches Weilchen weiter funktionieren, eine vom Realismus her wasserdichte Anekdote also, und ein einleuchtender Grund warum schmerzintensive Erkrankungen in meiner Familie bislang nur in rekordverdächtig niedriger Quantität vorkamen oder dies zumindest nie frei von den Betroffenen eingeräumt wurde.
Nicht einmal trotz zahlreicher gesundheitsgefährdender Interventionen.
So wie einmal, als der kleine Kenny es für eine lohnenswerte Idee hielt, anhand des von den Verwandten aus der "Zone" mitgebrachten Quecksilberthermometers, die genaue, maximale Höchsttemperatur seines Daumens zu überprüfen und so, knapp jenseits der 36 Grad-Marke, sämtliche Anwesenden einer silbrigen Giftwolke aussetzte. Im Nachhinein schon sehr lustig, dennoch bin ich mir über eine eindeutige Zuordnung zu guten oder schlechten Erinnerungen bis heute nicht hundertprozentig im Klaren. Einen kausalen Zusammenhang dafür gibt es wohl mit der erzieherischen Maßnahme meines älteren Bruders, der es sich nicht nehmen ließ mir unter den duldenden Augen des Großteils meiner noch lebenden Blutsverwandtschaft ordentlich den Arsch zu versohlen.
Gute Zeiten, schlechte Zeiten. Ein prophetisch verheißungsvoller Ausspruch, und wahrscheinlich der alleinige Grund für den Erfolg der gleichnamigen Seifenfolter. Die "lebensechten" Schausteller dürften es wohl kaum sein. Auch nicht die lustigen Geschichten. Da sind ja die von meinen Verwandten besser ;)
Text: Hendrik Menz (hendrik@menzmusic.com)