Kenny kriegt die Krise - Bummelzugkrise
Kenny kriegt die Krise - Bummelzugkrise
Schaut man sich die glorreichen vergangenen Krisen an, könnte man sehr leicht den Eindruck bekommen, die "Krise sei eine reine Contra- Deutsche- Bahn Veranstaltung. Nicht so sehr, dass es nichts anderes gäbe über das man sich ordentlich aufregen könnte, ganz im Gegenteil, doch ähnlich wie das Wetter besitzt die Bahn ein ganz spezielles, aufregendes Krisenpotential. Denn ähnlich wie beim Schwätzchen über alltägliche Meteorologie, kann jeder Depp mitreden.
Jeder hat schon seine eigenen kleinen Krisen in den vollsten Zügen genießen dürfen und für so ziemlich jeden besitzt das Thema Bahnfahren eine Relevanz und Eigendynamik, die vorwiegend auf der einen Tatsache beruht, dass, egal wie schlimm es mal wieder war, man es, mangels Alternativen, doch immer wieder wird tun müssen.
Ähnlich wie bei einem schlimmen Kater, wo gerne das alte "ich rühr nie wieder einen Schluck Alkohol an kommt, so flucht und erregt man sich und skandiert "nie wieder fahr ich mit dem Scheiß- Zug .
So geschehen an diesem Wochenende, als ich im Bummel- Intercity die norddeutsche Tiefebene durchqueren musste. Nicht nur, dass dieses legendäre Schienenmonster eigentlich Inter-Dorf heißen müsste, hält es doch zwischen dem Ruhrgebiet und Westerland an jeder Milchkanne und hebt brav das Beinchen, man trifft darin auch noch allerlei diverse und sehr, ich möchte mal sagen, farbenfrohe Gestalten, alle auf hohem Unterhaltungs- in den seltensten Fällen aber großem Wohlfühlniveau.
Beim Betreten meines per Aufpreis reservierten Abteils, schlug mir bereits die obergärige "Faxe- aus- der- Liter-Dose - Fahne, des kasachischen Bauarbeiters Gregorij entgegen, der auf seine Art und Weise sicherlich ein wirklich liebenswerter Mensch war, wie er mir auch mit dem so schön russentypischen Klitschko- Vokabular versicherte, nachdem er aus seinem Bierschläfchen erwacht war, aber sein persönliches Verständnis von Körperhygiene, insbesondere frischem Atem, differierte leider doch recht deutlich von meinem eigenen, was durch sein starkes Bedürfnis nach körperlicher Nähe zu seinem Konversationspartner, in dieser Phase unglücklicherweise meiner Wenigkeit, noch zusätzlich verschlimmert wurde.
Er erzählte mir, wie er die letzten drei Tage auf einer Hochzeit durchgemacht, keine Minute geschlafen und so irgendwie früher am Tag zunächst den falschen Zug bestiegen habe. Nun war er müde, hatte sich aus Frust schon ziemlich betrunken und eigentlich war ihm alles und jeder scheißegal, solange er nur bald im eigenen Bett läge.
Zehn Minuten intensivster physischer und psychischer Auseinandersetzung mit meinem durch Gregorijs Halsschiss ausgelösten, heraufschwelenden Brechreiz später, entschloss ich mich die Flucht nach vorn anzutreten und im Bordbistro eine Hopfenkaltschale anzuwerben.
Eine verlegene Verabschiedung, eine verwegene Ausrede, drei überfüllte Wagons und diverse Wehrdienstleistendenhürden später, erreichte ich erschöpft und durstig, endlich das ersehnte Mitropaparadies. Kaum durch die Tür wurde mir dieses kleine Erfolgserlebnis prompt durch den scheppernden Sound eines 3-Watt- Möchtegern- Ghettoblasters inklusive stimmgewaltiger Kegeltruppen- Schlager- Karaoke kräftig verdorben. Offensichtlich das restalkoholisierte Ende, einer Mischung aus nicht mehr ganz so junger Gesellenabschiedstour und eines extrem verspäteten Vatertagsausfluges. Das Verlangen nach einem alkoholischen Kaltgetränk begann nun mit der vertikalen Beschleunigung eines isländischen Heißwassergeysirs in mir hochzuschießen, die für einen Sonntagnachmittag in meinem bisherigen Leben (inklusive Oktoberfest und WM im eigenen Land) sicher vergeblich Ihresgleichen gesucht hätte. Das schmackhafte Aktionsangebot der Mitropatheke schien da gerade recht zu kommen: Leberkäsebrötchen und kleines Weißbier - fünf zwanzig. Drecks- Monopolisten!
Nach kurzem Überdenken meiner Taktik, nachdrücklich eskaliert vom friesischen Männerchor der hinter mir gerade in Fies-Dur das Lasso rausholte, entschied ich mich dann schließlich für das kEnny- Spezial: Zwei große Weißbier, kein Brötchen.
Einen Gedanken an die heimelige Atmosphäre in meinem Abteil später, sah ich mich dann hilflos in die Arme einer weiteren Portion Hefebowle getrieben. Die Zeit flog von hieran praktisch vorbei, wie die Asche der Nikotinjunkies, die es im noch nicht rauchüberwachten Intercity auf der Toilette mit 4 Gramm Tabak trieben. Stunde um Stunde floss also dahin und ließ mich meiner antizipierten Ankunftszeit immer näher kommen. Nicht mehr ganz darüber im Klaren was mehr schwankte, ich oder der Zug, machte ich mich nun moralisch gestärkt auf den Weg zurück nach Wagen neun, Abteil elf. So stand es zumindest auf meiner Fahrkarte. Allerdings stand dort auch mein Zielbahnhof. Leider nicht der gleiche wie auf diesem Zug. Immerhin rechtzeitig gemerkt. Wie war Gregorij noch mal da ins Abteil gekommen...
Text: Hendrik Menz (hendrik@menzmusic.com)