Kenny kriegt die Krise - Bahnfahren
Kenny kriegt die Krise
Das Leben ist eines der Härtesten und Kenny kennt sie alle
Viele gute, logische, ökonomische und vor allem ökologische Argumente sprechen dafür, längere Strecken mit der Deutschen Bundesbahn hinter sich zu bringen. Man kommt entspannt an, kann während der Fahrt wunderbar am Laptop arbeiten und viele wichtige Dinge erledigen, die man beim Autofahren nicht kann. Allein schon für jede einzelne Pipipause muss man von der Autobahn runter und verliert wertvolle Zeit. Eine schöne Argumentation. Wem das nicht sofort einleuchtet, der müsste völlig verblendet oder komplett ignorant sein.
Die Realität jedoch lässt all die schönen Argumente jedoch nicht immer in diesem allzu perfekten Licht erscheinen.
Es war ein regnerischer Dienstagmorgen, ich hatte die Tage zuvor ernsthaft mit mir selber gerungen, bis zuletzt schließlich, überraschenderweise die Vernunft in mir obsiegte und mich eine Zugfahrkarte von Hamburg nach Wiesbaden lösen ließ. In nur viereinhalb Stunden sollte ich entspannt in der Rhein-Main Gegend angekommen sein und dort ausgeruht meinen Geschäften nachgehen können. Der Aufbruch an diesem Morgen gestaltete sich hektischer als gedacht, war mir doch erst eine knappe Stunde vor Aufbruch klar geworden, dass ich um den Zug zu erreichen, vielleicht doch erstmal dasselbe mit dem Bahnhof bewerkstelligen sollte. Meine Sachen unterm Arm, eine halbe Scheibe Toast noch neckisch im Mundwinkel hängend, besprang ich die nächste U-Bahn.
Das eben erwähnte Toastbrot war kurz danach bereits wieder auf dem besten Weg Tageslicht zu erblicken, als eine Horde Holstendosen schwingende Bauarbeiter mich mit ihrer Transpirationsartistik in die hinterste Ecke des U-Bahn Waggons abdrängten. Zehn Minuten Brechreizunterdrückung später hatte ich es geschafft und sprintete den Umständen entsprechend gut gelaunt in Richtung reserviertem Sitzplatz auf ICE 576 "Freiherr von Braun".
Seinem Namen alle Ehre machend setzte das Weiß-Rote Megazäpfchen auch bereits Sekunden nach meinem Zustieg zu einem Raketenstart in Richtung Süden an. Jetzt nur noch zu meinem Platz und schön ausruhen. Doch was war das? Nein, es durfte nicht sein, ausgerechnet an meiner Tischsitzgruppe hatte außer mir noch eine junge, wie sich herausstellen sollte, eher antiautoritär erziehende Mutter mit ihren zweiköpfigen Satansbrut reserviert. Damit nicht genug sah ich mich nun der absoluten Höchststrafe ausgesetzt: auf dem Fensterplatz umzingelt!
Siebzehn Minuten "Ich sehe was, was Du nicht siehst" später waren wir noch nicht einmal an Winsen Luhe vorbei und doch sah ich mich dem Vorhof der Hölle schutzlos ausgeliefert. Ist das wirklich die größtmögliche Lautstärke für meinen Diskman? Diese Frage beschäftigte mich nun bis Göttingen, wo das teuflische Dreigestirn, ein letztes Mal laut johlend, seinen Abschied nahm. Die Reststrecke bis Frankfurt reichte gerade so aus, um mich einigermaßen zu erholen, als ich beim umsteigen in den Regionalzug nach Wiesbaden feststellen durfte, dass der gemeine deutsche Bauarbeiter regional gesehen eigentlich nur einen wesentlichen Unterschied aufweist. Die Marke der Bierdose.
Mit dem wagen Gefühl einen leichten Hauch von Eau du Bière von dort mitgenommen zu haben, verließ ich den Bahnhof in Richtung Geschäftsessen, wo eben jene Ahnung mir von einem Pulk naserümpfender Bänker direkt bestätigt wurde.
Auch eine vergleichsweise relativ ereignislose Rückfahrt vermochte mich nicht von meiner neu gewonnenen Erkenntnis abbringen, die ich wohl am besten mit einem Zitat eines sympathischen, Comebackshow-gescheiterten NDW-Stars beschreibe: "Kost" das Benzin auch drei Mark zehn, scheißegal, es wird schon gehen "
Stopp mal. Drei Mark zehn??? Es war eben doch nicht alles schlecht in den Achtzigern.
Text: Hendrik Menz (hendrik@menzmusic.com)