"Landesmeisterschaft 2010"
Als Mann hat man viele Möglichkeiten, Frauen von sich zu überzeugen: Geld, Coolness, Charme, ein schnelles Auto oder man lernt einfach Tanzen.
Ich habe mich für Letzteres entschieden, da beim Tanzen, speziell beim Turniertanz, alle vorher genannten Punkte vereint werden: Die Kleidung, die für Turniere mehr oder minder zwingend vorgeschrieben ist, kostet eine Menge Geld. Um zu den weit entfernten Turnierorten zu gelangen, benötigt man ein schnelles Auto, Coolness erwirbt man sich beim jahrelangen Ignorieren des erwartungsvoll drein blickenden Publikums und der Wertungsrichter, und über Charme verfügt ein Tänzer ohnehin immer.
Aber die Welt dreht sich nicht nur um das weibliche Geschlecht. Es gibt andere Gründe, weshalb ich tanze. Turniere zu tanzen bedeutet für mich Stil, Ästhetik, sportliche Betätigung, Spaß, Freundschaft und vor allen Dingen das, als was Fred Astaire es schon bezeichnete: Tanzen ist Träumen mit den Füßen.
Deswegen haben sich meine Partnerin und ich uns letztes Wochenende in ihren schnittigen Daihatsu Cuore gesetzt und sind in Richtung des zweihundert Kilometer entfernten Bad Rothenfelde gebrettert, um dort an den diesjährigen Landesmeisterschaften teil zu nehmen.
Solche Meisterschaften sind sehr beliebt. Der zu erlangende Titel verheißt Ruhm und Ehre. Die Teilnahme ist für alle Paare des Bundeslandes obligatorisch. Leider wird das vom Deutschen Tanzsportverband nicht so definiert. Stattdessen wählte man die Worte: "Paare sollten an den Landesmeisterschaften teilnehmen", was letztlich dazu führte, dass auf unserer Startliste stattliche fünf Paare auftauchten. Der Rest trainierte vermutlich für das Mega-Event, das blaue Band in Berlin, welches günstigerweise genau eine Woche nach den Landesmeisterschaften statt findet.
Tatsächlich aber sind fünf Paare viel besser als achtzig. Bei einer geringen Teilnehmerzahl ist es nämlich einfacher, Eindruck bei den Wertungsrichtern zu erwecken. Ich denke uns ist das bestens gelungen dadurch, dass meine Partnerin ihren Schmuck inklusive des strassbesetzten Halsbandes und der Ohrringe vergessen und ich das falsche Hemd eingepackt hatte - eines, das leider ein wenig ausgewaschen wirkte und zu meiner tiefschwarzen Weste und Hose einen deutlichen Kontrast bildete.
Das fiel uns natürlich erst nach zweistündiger Autofahrt auf, nachdem wir den Kursaal betreten und eine dreißigminütige Odyssee auf der Suche nach den Umkleidekabinen hinter uns gebracht hatten. Die an den Wänden angebrachten Schilder mit der Aufschrift "Turnierpaare Umkleide" waren zwar nett gemeint, wiesen aber grundsätzlich in die falsche Richtung und ersparten uns das Aufwärmen vor dem Turnier, da wir bereits zwei Kilometer im Lauschritt zurück gelegt hatten, bis wir endlich in den Kabinen ankamen.
Einige Paare kannten wir schon von Hamburger Turnieren. Vor Allem deren herausragende Leistung war uns schmerzlich im Gedächtnis geblieben. Das ist das Tolle beim Tanzen: Oftmals benötigt man keine Wertungsrichter und weiß schon vor dem Turnier, welchen Platz man belegen wird. Meine Partnerin tippte flüsternd "Bronze", während wir unsere Mittänzerinnen und -Tänzer freundlich und küssend begrüßten, innerlich aber an zersplitternde Absätze, rutschiges Parkett und Fehler in der Choreografie der Gegner dachten. Nach Außen hin lässt man sich solche Gedanken allerdings nicht anmerken, da es beim Tanzen ja um Stil, sportliche Betätigung, Spaß und Freundschaft geht.
Eine Maskerade, wenn man mich fragte - Schauspielerei, ohne welche die Turnierpaare eher Footballspielern ähneln würden, die sich eine Überdosis Amphetamine eingeworfen haben.
Da sich aber alle Turniertänzer per Unterschrift dem NADA-Code (Nationale Anti Doping Agentur) unterwerfen, verzichten sie auf die Einnahme von illegalen und leistungssteigernden Substanzen und beziehen ihre Energie für die schweißtreibenden Tänze aus natürlichen Quellen. Eine dieser Quellen heißt Ärger.
Der natürlichste Ärger, den man kurz vor einem Turnier erlangen kann ist, die gegnerischen Paare zu beobachten und festzustellen, dass deren Outfit besser ist, obgleich die Wertungsrichter natürlich nicht nach subjektiven, sondern nach rein objektiven Maßstäben werten.
Kursäle sind eine weitere Möglichkeit, seinen Adrenalinspiegel zu pushen: In den meisten Fällen ist das Parkett entweder glatt wie eine Eisbahn und der Einsatz von Wachs auf den Sohlen, der das Rutschen verhindern soll, verboten, oder aber das Holz ist dermaßen alt, so dass an zahlreichen Ecken und Enden gefährliche Vorsprünge existieren, die einen zwar nicht unbedingt zu Fall bringen, aber zumindest aus der Konzentration und dem Takt reißen.
Glücklicherweise bot unsere Tanzfläche gleich Beides: Glatt und dennoch uneben eine Kombination, die Seltenheitswert hat.
Die letzten leeren Kammern wurden dann vom Adrenalin geflutet, als wir durch einen in der Umkleidekabine angebrachten Zettel darauf hingewiesen wurden, dass die Sportler bitte auf den Verzehr selbst mitgebrachter Speisen und Getränke verzichten und sich stattdessen ihre Getränke an der Theke des Kurhauses ordern sollten. Dass pro Paar etwa drei Liter Wasser pro Turnier durch deren Magen-Darm-Trakt gespült wird und das Ganze bei einem Preis von fünf Euro pro Flasche fast so teuer ist wie die Anfahrt zum Turnierort, ist ein sehr beliebter Kritikpunkt aller Tänzer und Tänzerinnen.
Die Aufregung darüber wird natürlich künstlich hochgespielt. Kaum einer deckt seinen Flüssigkeitshaushalt über die überteuerten und abgestandenen Getränke eines Kurhauses. So sieht man während des Turniers häufig Menschen in teurer Abendgarderobe, die wie Gespenster von unterhalb eines Tischtuches auftauchen und ihre Wasserflasche klammheimlich wieder im Rucksack verstauen.
Zusammenfassend kann man sagen, dass die Bedingungen der Landesmeisterschaften den idealen Nährboden für genügend Aggression gebildet hatte, so dass wir auf weitere Maßnahmen verzichten konnten.
Zugegebenermaßen sind solche Maßnahmen wirklich der letzte Trick, den ein Paar anwenden kann. Er besteht darin, dass ein Partner während des Tanzens anfängt zu reden. Meist handelt es sich dabei um kurze, in zischender Sprache verpackte Worte wie: "Du hast den Link wieder nicht richtig geführt!" oder "Hey, der Herr führt Du hast einfach zu folgen!"
Dadurch ist es möglich innerhalb kürzester Zeit ein Aggressionspotential aufzubauen, gegen welches das von Jack Nichelson in dem Film "Shining" wie das sanfte Blöken eines Lammes erscheint.
Aber wie bereits geschrieben, konnten wir auf diese wenig subtilen Methoden, die oftmals einen zweitägigen Hangover nach sich ziehen, verzichten und bekamen am Ende unserer Turniers dennoch die Bronzemedaille verliehen.
Das ist natürlich noch nicht Alles. Das Turnier selber ist körperliche und mentale Schwerstarbeit. Danach ist Strategie gefragt, nämlich das Erfinden von Ausreden, warum man nur den dritten Platz gemacht hat und eben nicht den zweiten oder ersten.
In unserem Fall war natürlich der vergessene Schmuck daran Schuld. Gut für jedes Paar, welches eine solche Ausrede zur Hand hat. Wenn die Bedingungen eines Turniers nämlich zu gut sind, dann bleibt oft nichts Anderes übrig, als den Wertungsrichtern eine gewisse Befangenheit zu unterstellen, was natürlich nur hinter vorgehaltener Hand ausgesprochen werden darf.
Aber wie gesagt: In unserem Fall waren die Bedingungen ideal, so dass wir uns nach dem Turnier mit unserer Bronzemedaille um den Hals ins Auto setzen, ein paar Baldriantabletten einwerfen und den langen Weg zurück nach Braunschweig mit einem beruhigten Lächeln in Angriff nehmen konnte.
Andreas Altwein (kontakt@andreas-altwein.de)