"… oder hast du schon Spaß?"
Liebe Leser, ich möchte diesen Kolumnenbeitrag mit einer rhetorischen Frage im Stile einer großen Möbelkette aus Skandinavien beginnen: "Arbeitest du noch oder hast du schon Spaß?"
Ich weiß, dass es sich dabei um Polemik handelt, und wenn mein Chef diese Kolumne liest, wird er mir sicherlich den Kopf dafür abreißen. Aber zu meiner Verteidigung möchte ich erwähnen, dass es an dieser Stelle gar nicht um die Arbeit an sich gehen soll (die macht natürlich viel Spaß, lieber Chef), sondern um die sozialen und emotionalen Katastrophen, die zwangsläufig auf einen zurollen, wenn man zur arbeitenden Bevölkerung gehört.
Wenn man ganz für sich alleine werkelt, dann treten die angedeuteten Konflikte nicht auf. Das betrifft aber hauptsächlich Personen, die arbeiten, um sich selbst zu versorgen, und davon gibt es in diesem Land nur noch relativ wenige. Fakt ist, dass die meisten Menschen auf ihrer Arbeitsstelle mit anderen Menschen in Kontakt kommen.
Ist doch schön, werden viele sagen. Wir kennen es schließlich aus der Fernsehserie Emergency Room und Co: Arzt und Krankenschwester kommen sich während der Nachtschicht näher, , und voilà, schon ist eine Familie gegründet. Weiche Kartons im Lager eines Supermarktes können nicht nur zum Verpacken benutzt werden, sondern auch für körperliche Ertüchtigungen zu zweit. Eine Diplom Ingenieurin tritt eine neue Stelle in der bislang von Männer dominierten Domäne an und freut sich, dass sie von allen männlichen Kollegen so nett behandelt wird, ohne zu bemerken, dass sie nur ein Spielball der Natur und des Testosteronspiegels ihrer Kollegen ist.
In der Tat ist die Anzahl der Paare, die sich während der Arbeit finden, nicht unbeträchtlich. Ebenfalls nicht zu vernachlässigen ist aber die Anzahl der Paare, die beruflich miteinander zu tun haben, aber entweder vehemente Gegner sind oder noch schlimmer: die in einem Dienstleistungsverhältnis zueinander stehen.
Nehmen wir einmal an, ein Maschinenbauunternehmen benötigt einen Informatiker, hat aber diverse Gründe, keinen solchen einstellen zu wollen. Was macht er? Er beauftragt einen oder mehrere Dienstleister. Das ist soweit unproblematisch, so lange die eingesetzten Dienstleister keinerlei private Beziehungen zu den Personen haben, die den Dienst in Anspruch nehmen.
Existiert aber zwischen Dienstleister und Kunde ein Verhältnis sexueller Art, kommt es zu Problemen. Schnell wird da Befangenheit unterstellt, Vetternwirtschaft und dergleichen. Damit das gar nicht erst passiert, existieren in einigen Unternehmen ungeschriebene "Gesetze". Beispielsweise könnte es tabu sein, dass eine Angestellte des Auftraggebers mit einem Angestellten des Dienstleisters gemeinsam in die Kantine geht, dass sie sich duzen, usw.
Diese Trennung zwischen Privatem und Beruflichem was natürlich nur in eine Richtung gilt ist bereits im Freundeskreis schwer. Handelt es sich bei den zwei Personen um ein Pärchen, führt es unweigerlich zu Konflikten.
Da muss der Angestellte des Dienstleisters also seine Frau plötzlich mit "Sie" ansprechen, gemeinsame Mittagessen sind verboten. Stattdessen sitzt er alleine in der Kantine und muss mit ansehen, wie seine Angetraute mit einer Horde von geifernder Arbeitskollegen das Betriebsrestaurant stürmt und das Tagesgericht "Pizza amore" genießt.
Kaum ist der Arbeitstag zu Ende, der ja bekanntlich acht Stunden oder mehr beträgt, soll der arme Dienstleister nun wieder umschwenken, und seine Frau plötzlich wieder duzen. Sie hingegen soll aus der Rolle des fordernden Auftraggebers heraus treten und sich wieder wie ein gleichberechtigter Partner verhalten.
Dass das nicht funktionieren kann, liegt auf der Hand, zumal der Anteil an Privatleben meist nur 50 Prozent des beruflichen Anteils beträgt.
Wie kommt man nun heraus aus dieser Bredouille?
Natürlich kann man versuchen, sich mit dieser Situation zu arrangieren, seine Frau auch in der Privatzeit nur noch mit "Sie" anzusprechen und auf den Austausch von Zärtlichkeiten und Gefühlsäußerungen weitestgehend verzichten. Das hat auch noch den Vorteil, dass man in seiner Privatzeit ständig für das Arbeitsleben trainiert und dort wesentlich authentischer wirkt.
Eine andere Möglichkeit besteht darin, Dienstleistungsverhältnisse der obigen Art zu vermeiden. Das ist allerdings nicht einfach, wenn Dienstleister und Auftraggeber größere Unternehmen sind, in denen man für gewöhnlich keinen Einfluss darauf hat, wer einem als Handlanger vorgesetzt wird und wer der Kunde wird.
Auswegslos ist die Situation dennoch nicht.
Die Spannungssituation tritt ja hauptsächlich in einem Dienstleistungsverhältnis auf. Bei Arbeitskollegen ist das genau anders herum. Jeder, der daran zweifelt, sollte auf der nächsten Weihnachtsfeier die Augen offen halten und darauf achten, wer mit wem verschwindet und sich ein Taxi teilt.
Folglich besteht die Lösung von Pärchen, die in einem Dienstleistungsverhältnis ihrer Arbeitgeber zueinander stehen, darin, ihre private Beziehung ebenso kühl zu halten, wie wie der Umgang während der Arbeitszeit. Für Spaß, Flirts, Ausweinen und mehr gibt es schließlich ? Richtig! Arbeitskollegen.
Idealerweise drängen sich hier einige Berufe förmlich auf. Schulabgänger sollten ihre Berufswahl also nicht nur an den persönlichen Interessen auslegen, sondern darauf achten, dass sie in einer gegengeschlechtlichen Domäne arbeiten. Für Frauen bieten sich hier ein Studiengang zum Maschinenbauer an, für Männer die Krankenpflege. Bei der richtigen Berufswahl wird die eingangs gestellte Frage also lauten: "Studierst du noch, oder hast du schon Spaß?"
Für diejenigen, die bereits die falsche Wahl getroffen haben, gilt: Kopf hoch irgendwann kommt die Rente. Und falls die Beziehung bis dahin zerbrochen ist, gibt es ja zahlreiche Partnerbörsen, an denen man viele Träger ähnlicher menschlicher Tragödien kennenlernen kann.
So, und ich mache mich nun daran, meine Bewerbung für das städtische Klinikum zu schreiben Gott sei Danke habe ich nämlich vorgesorgt und vor meinem Studium eine Ausbildung als Krankenpfleger absolviert.
Andreas Altwein (kontakt@andreas-altwein.de)