Lars Jessen im Interview ("Hochzeitspolka")
Interview mit Lars Jessen, Regisseur des Films "Hochzeitspolka", der am 30.10.2010 in den deutschen Kinos anläuft. Am 24.09. stellte Lars Jessen bei der BZ-Film-Premiere im C1 Cinema in Braunschweig bereits vorab sein neustes Werk vor und stand BS-Live! danach für ein Gespräch zur Verfügung.
BS-Live!: Warum machen Sie eigentlich Filme? Wie sind Sie dazu gekommen und was fasziniert Sie daran?
Lars Jessen: Also dazu gekommen bin ich ehrlich gesagt in der Schulzeit schon. Über eine Video-AG Mitte der 80er Jahre. Das für mich an der Arbeit Faszinierende ist, dass es eine Kunstform ist, die man nur mit anderen Menschen zusammen machen kann. Der soziale Austausch und die Koordinierung von verschiedenen Persönlichkeiten, Charakteren an einem Gesamtkunstwerk. Ich bin z. B. bis heute gerne am Drehort, ich bin keiner von den Regisseuren, die froh sind, wenn sie endlich im Schneideraum sind. Schneideraum ist für mich immer: Naja, schön, dass man den Punkt erreicht hat, aber eigentlich ist es dann eine einsame Tätigkeit.
Und Detlev Buck. Als ich 1985 Detlef Bucks "Erst die Arbeit und dann..." sah, war es wie eine maßgeschneiderte Entscheidung, mich auf diesen Weg zu begeben.
BS-Live!: Das dachte ich mir, Ihre Filme erinnern etwas an Detlev Buck, die Machart, die lakonischen Charaktere...
Lars Jessen: Ja, auf jeden Fall, das hat damals eine wie lange versiegelte Tür aufgerissen, da habe ich das Gefühl gehabt, wenn man mit so wenig so besonderem Zeug so großartigen Eindruck hinterlassen kann, da kann man nur aufschauen.
BS-Live!: Wie sind Sie an die Hochzeitspolka gekommen? Gab es da schon länger Pläne oder ist die Idee kurzfristig entstanden?
Lars Jessen: Nein, Kinofilme lassen sich ja in der Regel nur langfristig finanzieren. An Hochzeitspolka haben wir im Grunde vier Jahre gearbeitet. Ausgangspunkt war 2006 die WM in Deutschland, als wir auf einmal das Crazy-Party-People-Volk wurden. Das fanden wir toll. Aber dann stellte sich die Frage: Jetzt sind die alle wieder abgereist, sind wir jetzt eine andere Nation, haben wir unser Gesicht verändert, war das alles nur eine Rolle? Um das festzustellen, wäre es interessant, wenn ein Deutscher in ein vollkommen fremdes Land geht. Mit alldem was er hat und glaubt , er könnte das einfach ablegen. Sowohl seine Identität als Deutscher als auch seine Vergangenheit als ehemaliger Sänger einer drittklassigen Coverband aus der norddeutschen Provinz. Und das war sozusagen der Ausgangspunkt für Hochzeitspolka. Dass wir dann nach Polen gegangen sind, war letztlich eine Entscheidung für ein Land, wo wir uns selber nicht auskannten. Wenn man jetzt Italien oder die USA genommen hätte, hätte man ja im Grunde schon soviel Vorauswissen gehabt, dass man sich gar nicht mehr fremd gefühlt hätte. Und Polen, 60 km von Berlin entfernt, schien uns dafür ideal zu sein.
BS-Live!: Christian Ulmen überzeugt ja hier wieder als eher passiver Protagonist, ähnlich wie in Herr Lehmann...
Lars Jessen: Ja
BS-Live!: ...war er Ihre Wunschbesetzung?
Lars Jessen: Ja, absolut, er ist uns sofort eingefallen. Wir haben Christian schon in einem sehr frühen Stadium eingebunden und er hat auch sofort zugesagt. Ich muss dazu sagen, dass Drehbuchautor Ingo Haeb und ich Christian schon seit Ende der 90er kennen. Wir haben mit ihm damals für ein Projekt bei VIVA gearbeitet und haben uns seitdem sehr an seiner Schauspielkarriere erfreut. Vor allem ist er perfekt für die Rolle, weil er einen sehr feinen Humor hat, so glaubwürdig scheitern kann und so liebenswürdig dabei ist, wenn er Fehler macht.
BS-Live!: Wie war die Zusammenarbeit mit dem polnischen Drehbuchautor Przemyslaw Nowakowski?
Lars Jessen: Es war wirklich eine glückliche Fügung, dass unsere Produktionsfirma, die sich in Polen schon relativ gut auskannte, uns den Przemyslaw Nowakowski vorgeschlagen hat. Er ist in Polen so eine Art Drehbuchstar und wir haben uns von Anfang an sehr gut mit ihm verstanden. Er hat uns die gesamte polnische Seite näher gebracht und hat auch sehr intensiv die polnischen Charaktere mit ausgearbeitet. Insofern wurde es, was man sehr selten hat, eine sehr uneitle Dreierveranstaltung, wo es um die beste Lösung ging, um die Genauigkeit und eben auch um den besten Gag. Das war eine ganz tolle Sache, das zu erleben.
BS-Live!: Ich könnte mir denken, dass gerade beim Ausarbeiten der Gags, die auf den gegenseitigen Vorurteilen und Klischees basieren, viel gelacht wurde. Hat man versucht, sich gegenseitig in Vorurteilspflege zu übertreffen?
Lars Jessen: Ja, es war vor allem für uns Deutschen lustig, die Art des polnischen Humors kennenzulernen und zu verstehen. Denn der ist natürlich ganz anders als unserer vor allem was Selbstironie angeht. Da sind die Polen ganz vorne, die kokettieren auch ganz oft mit ihrem Scheitern, sowohl historisch als auch in kleinen Lebenslagen. Das fanden wir faszinierend, wie wenig die sich ernst nehmen. Davon sind viele Sachen von Przemyslaw Nowakowski ins Drehbuch eingeflossen. Es war wirklich eine Gemeinschaftsproduktion.
BS-Live!: Was mir sehr gut gefiel war die Szene, in der vier Deutsche ausgerechnet in Polen ein Auto klauen...
Lars Jessen: Ja, das ist eben ein Film, der Klischees verarbeitet und mit ihnen spielt. Manche Ihrer Kollegen werfen uns vor, wir würden nur Klischees bedienen. Das ist aber nicht der Fall. Es gibt Figuren im Film, die haben Klischees im Kopf, leben die aus und sprechen sie auch aus und darin besteht quasi der Reiz des Films, dass da auch alles auf den Tisch kommt, was man unterdrückt hat.
BS-Live!: Beim Plot des Filmes dachte ich spontan an Culture-Clash-Komödien wie My Big Fat Greek Wedding oder Maria, ihm schmeckt`s nicht. Eigentlich ist es aber ein Film über den Versuch, erwachsen und seriös zu werden, indem man seine Vergangenheit nicht nur geographisch verlässt, sondern sich auch durch Insignien des Erwachsenseins wie Eigenheim, seriöser Job und Ehefrau von ihr distanziert...
Lars Jessen: Ja, es geht vor allem auch um dieses Zu-spät-erwachsen-sein, also Leute, die mit 35 noch im Grunde dasselbe Leben führen wie mit 18 und die Freundschaft mit denen sich im Prinzip immer nur auf diese Zeit bezieht. Die Freunde in diesem Film stehen vor der Aufgabe, dass die Freundschaft selber auch erwachsen werden muss, in der auch Themen der Gegenwart relevant sind. Und die Figur von Christian Ulmen hat es eben nicht geschafft, das zu entwickeln und musste, um aus der Nummer wieder rauszukommen, einen klaren Schnitt machen und hat sich nie wieder bei irgendeinem Kollegen gemeldet, bis die zur Hochzeit vor seiner Tür stehen. Und dann ist es natürlich eine Schocktherapie, in zwei Tagen ein Verhältnis neu zu beginnen.
BS-Live!: Kann man sagen, dass die Figur Frieder Schulz eine Identitätskrise bekommt, als er mit seiner Vergangenheit, die so konträr zu seinem jetzigen Leben war, konfrontiert wird?
Lars Jessen: Absolut, fast schon schizophren ist das ja, fast schon wie Dr. Jekyll und Mr. Hide, wenn man die versaute Seite, die unmoralische Seite an sich verleugnet und die Idee hat, man könne das abstreifen ab dem Zeitpunkt der Entscheidung, integer zu sein. Und das ist dann natürlich in der Konsequenz schwer durchzuhalten und eskaliert dann ja auch.
BS-Live!: Zentrales Thema in Ihren Filmen ist immer wieder Freundschaft. Hindern einen Freunde manchmal daran, erwachsen zu werden, sich weiterzuentwickeln?
Lars Jessen: Ja, das empfinde ich schon oft auch so bei Freundeskreisen, die sich aus der Kindheit bis ins numerische Erwachsenenleben reingehangelt haben. Dass jemand dafür bestraft wird, wenn er sich zu weit aus dem Fenster lehnt, weil die, die sich nicht trauen, Ziele zu formulieren und dann zurückbleiben, die selben sind, die dann auch hinterher sagen: Siehste, hat ja auch nicht geklappt! Die benutzen das als Vehikel für Ihre eigene Mutlosigkeit und beruhigen sich daran, dass der andere es auch nicht geschafft hat. Meine Freundschaften haben diese Phase auch durch und dabei sind auch einige auf der Strecke geblieben. Aber die, die dann noch zusammen sind, die diesen Prozess durchgemacht haben, pflegen dann eine erwachsenere Art von Freundschaft als die "Never-Ending-Eighties-Ü40-Party".
BS-Live!: Es gab ja nicht nur gute Kritiken...
Lars Jessen: Nein, auch viele schlechte.
BS-Live!: Finden Sie das ungerecht?
Lars Jessen: Sehr ungerecht, der Film ist total gut! (lacht) Nein, im Ernst: Wir haben immer so den Hang bei uns, ambitioniertere Mainstreamsachen schlecht zu machen. Das ist zum Großteil auch der Grund, warum wir in Deutschland eigentlich kein Mainstreamkino haben. Man ist dann entweder jenseits von Kritik wie z. B. bei "Feuer, Eis und Dosenbier". Den guckt sich schon gar kein Kritiker an, weil der sowieso nur für die tumbe Masse ist. Oder wir machen sowas wie Berliner Schule, jede Einstellung zehn Sekunden zu lange stehen lassen und sowas. Dann ist es gut und alle finden es toll. Aber ganz hart wird immer ins Gericht gegangen mit jenen Leuten, die mal versuchen, eine Idee populär zu erzählen. Und ich bin dann auch beleidigt, dass sich so viele Kritiker so oberflächlich mit dem Film befasst haben, sich anmaßen, über ein Land wie Polen Bescheid zu wissen und dann behaupten, man müsse die Klischees brechen. Die verwechseln ganz oft, dass in unserem Film Figuren vorkommen, die Klischees aussprechen, die sie im Kopf haben aber das heißt ja nicht, dass der Film Klischee ist. Der Film benennt Klischees und bricht sie auf Grund des Zusammenhanges, wo diese Vorurteile aufeinandertreffen. Ich bin aber sicher, dass die Leute, die den Trailer gesehen haben und die, die jetzt gerade im Kino sind, einen lustigen, unterhaltsamen Abend haben und dass die aber auch eine Kleinigkeit mit nach Hause nehmen über ein Land, dass sie vorher noch nicht so gut kannten.
Das Interview mit Lars Jessen führte Götz Pollmann für BS-Live!