„Waldesgrab“ von Lene Schwarz
"Waldesgrab" von Lene Schwarz
Sommer, Sonne, Sonnenschein? Nicht mit Lene Schwarz! Denn der Sommer im Harz, den die Autorin in Ihrem Krimi-Debüt beschreibt, ist alles andere als unbeschwert...
Auf 416 Seiten muss sich der verwitwete Koch Leon Bosch der Vergangenheit stellen, als im Wald plötzlich Buchen vergiftet werden und mehrere Tote auftauchen. Was sich für viele nach einem schaurigen Serientäter anhört, bedeutet für Leon ein Riss in seiner scheinbar heilen Welt...
Handlung, Aufbau des Buchs und Charaktere
Leon Bosch ist Koch im Gasthaus „Quellbach“ mitten im idyllischen Harzer Wald, doch als ihm eines Tages die plötzlich absterbenden Buchen auffallen, wird er einige Jahre in die Vergangenheit katapultiert. Denn unter den Buchen haben er und seine Nachbarin Marlene Beweise für eine Straftat verschwinden lassen, die eine Bedrohung für Leon und seine Tochter darstellen. Als mit den Funden mehrerer Frauenleichen Teile eben dieser Beweise auftauchen, sieht Leon ein, dass er das Passierte nicht länger verdrängen kann und macht sich mit Marlene daran, den:die Verantwortliche:n ausfindig zu machen.
Das Buch ist in drei Abschnitte plus Prolog und Epilog eingeteilt. Der Prolog nimmt bereits den Fund der ersten Leiche vorweg und in den folgenden Teilen werden Konflikte entfacht und teils gelöst. Daraus entsteht eine grundlegende Spannung während der ganzen Geschichte, die allerdings mehr oder weniger auf einem Niveau bleibt. Der Epilog spielt ein gutes halbes Jahr nach den Geschehnissen und klärt alle noch übrig gebliebenen Fragen. Dabei hat die Autorin einen sehr bildhaften und malerischen Schreibstilt. Ein Pluspunkt ist ebenfalls die Länge der Kapitel, die gerade für Leser:innen, die ungern mitten im Kapitel das Buch zuklappen, sehr angenehm ist.
Viele der Charaktere des Buchs durchleben während der Geschehnisse eine Wandlung. Besonders gut hat mir die Wandlung von Leon gefallen, der mit dem Start der Mordserie und die wachsende Bedrohung für seine Tochter immer mutiger, verantwortungsbewusster und in gewisser Weise dominanter wird. Er beginnt, aktiv zu handeln und das Passierte zu hinterfragen.
Auch Marlene durchläuft eine Wandlung. Sie wird von Kapitel zu Kapitel immer mehr zu einem weiteren Hauptcharakter und zu einer Komplizin Leons. Insgesamt finde ich gut gelungen, dass neue Charaktere flüssig in die Geschichte integriert wurden. Bei manchen von ihnen bemerkt man als Leser:in erst im Laufe des Buchs, welche Rolle sie wirklich spielen, was die Geschichte fortlaufend interessant macht und auch die ein oder andere Überraschung bereithält.
Kritik
Das Buch lässt sich zum größten Teil flüssig lesen, allerdings fiel es mir als Leserin manchmal schwer, die preisgegebenen Informationen einordnen zu können. Das liegt zum einen an der ein oder anderen Informationsflut, aber auch an der Reihenfolge, wie Informationen preisgegeben wurden. Zum Beispiel wird zu Beginn der Charakter Jan-Philipp als zweiter Auszubildender im „Quellhof“ vorgestellt – allerdings fragt man sich kurz, wer denn der:die erste:r Auszubildende:r ist. Ich für meinen Teil muss auch zugeben, dass mich manche Beschreibungen von Orten und Entfernungen etwas verwirrt haben. Meine kleine Landkarte, die ich im Kopf hatte, wurde des Öfteren etwas durcheinander gebracht, was kein K.O.-Kriterium darstellt, aber gerade an spannungsaufbauenden Stellen irgendwie gebremst hat.
Ebenfalls geht der Harz als Schauplatz während der Handlungen etwas unter. Die wenigen Ortschaften, die genannt werden, sind laut Google Maps - zumindest im Harz - nicht existent, was leider den Bezug zur Region ein wenig unter den Tisch fallen lässt. Auch halten sich die Charaktere – insbesondere Leon als Hauptcharakter – zwar oft im Wald auf, was ein Gebirge als Schauplatz untermalt, aber leider nicht direkt auf den Harz hindeutet. Auf der anderen Seite bezieht die Autorin aktuelle und auch harzspezifische Themen mit ein, wie beispielsweise die Fichtenmonokulturen, den Borkenkäfer sowie den Bergbau, was mir gut gefallen hat. Es ist sehr schade, dass, meiner Meinung nach, gerade am Ende des dritten Teils sehr viele Stereotypen auf einmal verwendet werden. Diese werden bereits beim Verhältnis zwischen dem Hauptcharakter Leon und dem ermittelnden Kommissar Braune eingebaut, da der Kommissar natürlich gleich Leon als Täter auf dem Kieker hat und teils übertrieben autoritär und einschüchternd wirkt. Als dann der:die Täter:in enthüllt wird, wird dabei mit vielen Stereotypen wie einer schwierigen Kindheit mit psychischen Folgen sowie unerwiderter Liebe gearbeitet. Natürlich kann eine schwere Kindheit zu psychische Krankheiten führen und wiederum psychische Krankheiten zu schlimmen Taten, allerdings MUSS dies nicht der Fall sein. Ich finde, dass diesbezüglich von der Autorin sehr tief in die „Trickkiste“ gegriffen wurde. Prolog und Epilog hingegen runden die Geschichte super ab. Der Prolog ähnelt dem Anfang einer Kurzgeschichte, der die Leser:innen sofort in die Geschichte eintauchen lässt. Der Epilog ist vergleichsweise lang, sorgt aber dafür, dass die Geschichte abgeschlossen ist und die Leser:innen scheinbar nichts mehr verpassen können.
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GUT
• toller Schreibstil
• Einführung vieler Konflikte und Hinweise, ohne Lesende generell zu überfordern
• Handlungsstränge weisen nicht immer offensichtlich auf den Hauptkonflikt
• gerade im ersten und zweiten Teil gute Abwechslung zwischen Konfliktschaffung und -lösung
• angenehme Länge der Kapitel
• Einbezug regionaler Themen zum Harz, wie z.B. Fichtenmonokulturen und Borkenkäfer
• glaubwürdige Charakterentwicklung Leons
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NICHT SO GUT
• manche Informationen werden in „unlogischer“ Reihenfolge preisgegeben
• Spannungsaufbau an manchen Stellen mit angezogener Handbremse, da prägnante und für die Situation passende Adjektive bzw. Erzählweisen fehlen
• leider kaum Bezüge zum Harz, was Landschaft und Ortschaften angeht
• teils komische Beschreibung von Distanzen und Standorten
• Stereotypen
Fazit
„Waldesgrab“ ist im Großen und Ganzen ein solider Kriminalroman, der gerade Krimieinsteigern eine gute Mischung bietet, ohne dabei auf übermäßig blutige Szenen oder wilde Verfolgungsjagden zu setzen. Detaillierte und brutale Beschreibungen der Todesumstände bleiben weitestgehend aus. Weder als Vorwort noch in den Produktbeschreibungen diverser Buchhändler findet sich ein Hinweis auf eine offizielle Triggerwarnung.
Die Geschichte insgesamt hat zwar die ein oder andere Schwachstelle, allerdings ist das Gesamtpaket auf jeden Fall eine Lesereise wert und eignet sich auch gut für Zwischendurch. Insgesamt ist Lene Schwarz mit „Waldesgrab“ ein guter Start in die Buchwelt geglückt. Bisher sind noch keine neuen Bücher der Autorin erschienen, mal schauen, ob und wann es wieder soweit ist!