Bilanz: FESTIVAL THEATERFORMEN 2020
Pandemietaugliche Sonderausgabe kam gut an!
Seinen 30. Geburtstag hat das Festival Theaterformen als pandemietaugliche Sonderausgabe unter dem Motto „A Sea Of Islands“ gefeiert: Sechs Kunstinstallationen, acht Online-Beiträge, Postsendungen zweier Theatergruppen, acht Konzerte, das Mitmach-Programm für Zuhause „Perform at Home“ für Schulklassen und Publikum und allabendliche Live-Talks mit deninternationalen Theatermacher*innen waren vom 2. bis 12. Juli zu sehen. Die letzte von Martine Dennewald kuratierte Ausgabe ging am Sonntagabend Ende. Das Festival zieht positive Bilanz:
1455 Besucher*innen kamen, um die Installationen in Braunschweig zu besuchen. Und auch das kostenfrei angebotene, eigens für die Sonderausgabe konzipierte Onlineprogramm kam gut an – insgesamt konnte das Festival zwischen dem 2. und 12. Juli 17.285 Seitenaufrufe auf seinem Vimeo-Kanal, auf dem die Onlinebeiträge hochgeladen waren, verbuchen.
Die pandemietaugliche Sonderausgabe 2020
Den Schwenk vom ursprünglich geplanten Festival, das in der Regel knapp zwei Jahre vorbereitet wird, hin zu einer pandemietauglichen Ausgabe machte Leiterin Martine Dennewald im April 2020 – mit Rückendeckung des Festivalbeirats. Vor Ausbruch der Covid-19-Pandemie hatte das Festival Theaterformen geplant, 18 internationale Produktionen, die mit gleich vielen verschiedenen Inseln auf der ganzen Welt in Verbindung stehen, auf Braunschweigs Bühnen zu präsentieren.
Die Sonderausgabe des Festivals blieb den ursprünglich eingeladenen Künstler*innen und ihrer thematischen Setzung treu. Die Färöer-Inseln, die Komoren und die Karibik, Nauru, Timor und Sri Lanka: Inseln standen im Zentrum der Aufmerksamkeit – und mit ihnen politische Sonderfälle, geostrategische Brennpunkte und Projektionsflächen für ein besseres Leben. Angesichts der CoronaKrise hatte der Fokus auf die vermeintliche Peripherie, auf räumlich isolierte und dennoch global verbundene Orte, ungeahnte Aktualität erhalten.
Martine Dennewald kommentiert: „Für das Festivalteam und mich war diese Ausgabe ein besonderes Wagnis: Unter ungewissen Umständen haben wir uns mit unseren Künstler*innen an ein unerprobtes Festivalformat gewagt, neue künstlerische Projekte entwickelt und zur Uraufführung gebracht, unsere Kommunikationsstrategie und das Vermittlungsprogramm auf diese besonderen Zeiten ausgerichtet. Dank des Vertrauens, das Künstler*innen und Besucher*innen uns entgegen gebracht haben, konnten wir das Maximum rausholen und online auch ein Publikum weit über Deutschlands Grenzen hinaus erreichen.“

Foto: Mikko Gaestel
Rimini Protokoll, deren Stück Granma. Posaunen aus Havanna das Festival eröffnet hätte, bitten ihr kubanisches Ensemble, ihre Erfahrungen als Bewohner*innen eines langjährig isolierten Staates mit dem Publikum zu teilen – per Post, die in den heimischen Briefkasten geliefert wird.
Online-Formate
Zu den zuerst veröffentlichten Online-Arbeiten, die knapp 52 Stunden On Demand auf der Festivalwebsite gezeigt wurden, gehörte Ogutu Murayas The Ocean Will Always Try to Pull You In, das mit rund 2190 Seitenaufrufen an der Spitze der Klickzahlen liegt, gefolgt von salt. A Talk, dem vorproduzierten Gespräch zwischen der britischen Theatermacherin Selina Thompson und der USamerikanischen Autorin Saidiya Hartman, mit 2042 Seitenaufrufen. Aus Indonesien waren zwei Beiträge von Choreografie-Star Eko Supriyanto zu sehen: Ibuibu Belu: Daily Life, ein Dokumentarstück über die Spuren, die das COVID-19-Virus in Belu hinterlassen hat, und Salt, ein Video-Tanzstück.
Beide Seiten wurden laut Vimeo zusammengerechnet 1107 mal aufgerufen. Einrichtung der Installationen in Braunschweig erforderten außergewöhnliche Arbeitsweisen In Braunschweig hatte das Festival ab dem 2. Juli sechs Installationen für Publikum geöffnet. Die Arbeiten, die in den Spielstätten des Staatstheaters Braunschweig, im LOT-Theater, im Theaterpark und in der Braunschweiger Innenstadt zu sehen waren, haben besondere Arbeitsweisen verlangt:
Das New Yorker Künstlerduo 600 HIGHWAYMEN hat seine Installation A Thousand Ways beispielsweise aus der Ferne konzipiert und dem Festivalteam über den Atlantik hinweg minutiöse Anweisungen für seine Umsetzung geschickt. Ebenso vertraute die ägyptische Theatermacherin Laila Soliman dem Festivalteam ihre neue Arbeit Wanaset Yodit zur erstmaligen Umsetzung an. Und auch die Sturm-Installation Thirst hat der lettische Künstler Voldemārs Johansons aus Riga per Fernsteuerung eingerichtet – eingeloggt auf einem Miniroboter konnte Johansons Bild und Ton seines Kunstwerks an den Bühnenraum anpassen. Marlene Monteiro Freitas (Cattivo), Laura Liz Gil Echenique (Los Sobrevidentes) und Lotte Lindner & Till Steinbrenner (Ihr) konnten hingegen, weil sie in Lissabon, auf Ibiza und in Hannover leben, anreisen, um ihre Arbeiten in Braunschweig einzurichten.
Sechs Festivalausgaben unter der Leitung von Martine Dennewald
Die Sonderausgabe 2020, die unter dem Motto „A Sea Of Islands“ lief, war die letzte von Martine Dennewald kuratierte Festivalausgabe. Seit September 2014 hat sie das Festival geleitet. Zu ihrer ersten Ausgabe im Jubiläumsjahr 2015 sprach sie unter anderem Einladungen an Rimini Protokoll, Tiago Rodrigues, Xavier Le Roy und 600 HIGHWAYMEN aus, von denen sie jeweils zwei Produktionen zeigte. Mit dem kuratorischen Konzept der Doppeleinladungen hatte das Publikum die Möglichkeit, künstlerische Handschriften noch besser kennen zu lernen. Klare inhaltliche Setzungen fand Dennewald für jede weitere Edition: Nachdem das Festival 2016 in Braunschweig mit „Our Common Futures“ einen Fokus auf Gastspiele aus Ost- und Südostasien setzte, waren 2017 in Hannover ausschließlich Stücke von Regisseurinnen und Choreografinnen zu sehen – ein Versuch, eine strukturelle Ungleichheit nicht im Sinne einer Quote zu beheben, sondern in einer subversiven Geste gänzlich umzukehren. 2018 widmete sich das Festival den Aus- und Nachwirkungen des Kolonialismus aus verschiedenen Perspektiven. 2019 reisten dann rund die Hälfte der eingeladenen Regisseur*innen aus aller Welt mit Projektideen, Textvorlagen, einem Interesse an Hannover und seinen Menschen bereits Monate im Vorfeld an, um zu recherchieren und zu proben. Lebensgeschichten von rund 200 Bürger*innen aus Niedersachsen flossen in die Theaterarbeiten ein.
Dennewalds kuratorisches Arbeiten ist nicht zu trennen von ihrer Auseinandersetzung mit Postkolonialismus und diskriminierungskritischer Arbeit. In den Jahren 2018 und 2019 durchlief das Festivalteam eine fünfteilige, von der Kulturstiftung des Bundes geförderte Fortbildung. Die Arbeit mit dem Institut für diskriminierungsfreie Bildung / IDB beinhaltete die Reflexion der Arbeitsprozesse innerhalb der Institution als auch eine Analyse der Öffentlichkeitsarbeit, den Umgang mit Diskriminierung in der Festivalarbeit und eine Formulierung möglicher antirassistischer Strategien. Monatliche Awareness-Sitzungen, eine neue Einstellungspolitik, eine diskriminierungskritische Leitlinie, die Zusammenarbeit mit anderen Institutionen, die Bestellung externer Berater*innen für produktionsbezogenes Feedback und Fortbildungsmöglichkeiten sind nur einige Beispiele für die aus der Prozessbegleitung hervorgegangenen internen Veränderungen. Abschließend resümiert Martine Dennewald: „In den letzten sechs Jahren haben wir beim Festival Theaterformen nicht nur 80 Produktionen aus der ganzen Welt nach Niedersachsen gebracht und unserem Publikum unvergessliche Theatererlebnisse beschert. Wir haben auch unsere Arbeitsweise auf den Prüfstand gestellt, Selbstverständlichkeiten des Kulturbetriebs hinterfragt, gängige Perspektiven auf die Welt dekonstruiert, erweitert, ausdifferenziert. Ich bin den Künstler*innen dankbar, die uns neue Wege in die Zukunft zeigen, sowie dem Publikum und den Förderern des Festivals, die uns auf dieser Reise begleitet haben. Und ich wünsche Anna Mülter alles Gute für die kommenden Jahre!“
Auf Martine Dennewald folgt im Herbst 2020 Anna Mülter, die ihr erstes Festival Theaterformen im Sommer 2021 vom 8. bis 18. Juli in Hannover präsentiert.
Das Festival Theaterformen 2020 ist eine Veranstaltung des Staatstheaters Braunschweig, gefördert durch das Niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur, die Stadt Braunschweig, die Stiftung Niedersachsen und die Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz.
Quelle: PM