IST: Alltagsgegenstand wissenschaftlich beleuchten
Überall sind Oberflächen
Alltagsgegenstand wissenschaftlich beleuchten
Jeden Tag sehen, berühren und nutzen wir Oberflächen! Ob eine Fensterscheibe, ein Lichtschalter oder der Knopf im Bus, Flächen sind allgegenwärtig. Gut, dass sich die Forschung intensiv mit der Funktion und Nutzung dieser auseinandersetzt und stetig optimiert. Wir haben Frau Carola Brand, Assistentin der Institutsleitung und Leitung des Stabs Forschungsplanung und Netzwerke, vom Fraunhofer-Institut für Schicht- und Oberflächentechnik IST, gefragt, was denn alles hinter diesem Alltagsgegenstand steckt und was beachtet werden muss.
Wer oder was ist das IST?
Das Fraunhofer-Institut für Schicht- und Oberflächentechnik wurde 1990 gegründet und ist damals aus den Phillips Forschungslaboratorien in Hamburg hervorgegangen. 1994 ist das IST von Hamburg nach Braunschweig gezogen und hat im Bienroder Weg seinen Standort gefunden. In Braunschweig ist es ein innovativer und international bekannter Partner für Forschung und Entwicklung in der Oberflächentechnik. Mit seinen Kompetenzen erschließt es Synergien in den zugehörigen Produkt- und Produktionssystemen. Die Oberflächentechnik ist ein breites Gebiet und für sehr viele Branchen relevant, da Oberflächen überall zu finden sind. Das reicht vom Anlagen- und Maschinenbau, über Werkzeuge, Fahrzeugbau, Luft- und Raumfahrt, Optik, Medizin bis hin zur Umwelttechnik und Chemie. Wir modifizieren, strukturieren, und beschichten Oberflächen und betrachten dabei unterschiedlichste Funktionen und Funktionalitäten sowie das Gesamtprodukt. Dabei werden Fragestellungen entlang der gesamten Produktionskette einbezogen und analysiert. Außerdem skalieren wir auf industriellen Maßstäben und betrachten Stoff- und Materialkreisläufe.
Wie viele Mitarbeitende hat das IST heute?
Wir sind aktuell etwas mehr als 200 Mitarbeitende. Wir haben einen breiten Querschnitt an fachlichen Bereichen, von Maschinenbau über Physik, Chemie, Biotechnologie, IT oder Wirtschaftsingenieurwesen.
Auf Ihrer Webseite steht, dass das Thema Nachhaltigkeit in ihrem Leitbild verankert ist. Wie genau wird das deutlich und wo wird das umgesetzt?
Neben ganzen Material- und Stoffkreisläufen, spielt Nachhaltigkeit in unseren Entwicklungen ein ganz großes Thema. Ob bei bezahlbarer, sauberer Energie und Energiespeicherung oder bei der Sensorik, bei der Sensoren auf Oberflächen für genaue Messungen aufgetragen werden, Nachhaltigkeit ist uns ein großes Anliegen! Außerdem fließt Nachhaltigkeit bei der Produktionseffizienz, Fabrikplanung oder bei Sicherheitsanforderungen mit ein. Uns sind effiziente Ressourcennutzungen und simulationsgesteuerte Produktionen wichtig, da dadurch Produktionsszenarien oder Entwicklungen abgekürzt werden können. Ein weiteres Thema, was auf jeden Fall genannt werden muss, ist die Gesundheit. Dazu zählen nicht nur Verunreinigungen von Oberflächen, sondern auch Schadstoffe in der Luft oder im Wasser, die wir mit unseren Technologien abbauen wollen.
Werden Ihre Projektergebnisse irgendwann in die Gesellschaft integriert?
Die Integration in die Gesellschaft ist natürlich unser Ziel. Die Entwicklung von Prozessketten bis hin zum Recycling für eine nachhaltige Industriegesellschaft ist uns sehr wichtig. Der Transfer in die Gesellschaft von Ergebnissen unserer Verbund- oder Industrieprojekte stellt eines der obersten Ziele dar. Die Weiterentwicklung findet mit Kunden aus Industrie und Forschung statt, sodass wir maßgeschneiderte nachhaltige Lösungen für unterschiedliche Bereiche anbieten können. Mit unserem breiten Spektrum an Kompetenzen wollen wir für die jeweilige Aufgabenstellung optimale Prozessketten gestalten.
Können Sie uns dort ein paar beispielhafte Projekte nennen?
Gerne, ein Beispiel ist das Thema grüne Batterien, bei dem Produktion und Recycling eine wichtige Rolle spielen. Wir haben dafür eine große Abteilung, die sich in verschiedenen Projekten mit dem Thema beschäftigt. Vor allem bringen wir uns in den Bereichen Entwicklung und Bewertung mit ein, d.h. es wird untersucht, wie man Werkstoffe oder Bewertungsmethoden zur Zurückgewinnung und Wiedereinsatz von Produktionsabfällen in der Eltektrodenproduktion nutzen kann.
Ein weiteres Projekt sind metallisierte Kunststoffe, die aussehen wie Metall, aber eigentlich Kunststoffe sind. Diese findet man beispielsweise bei Handys oder Autos. Da früher eingesetzte Stoffe nicht umweltfreundlich sind, suchen wir alternative Stoffe und Methoden, um diese Metalloberflächen in Zukunft auch umweltfreundlich und nachhaltig herzustellen.
Was auch für alle immer total spannend ist, ist das ganze Infektions- und Präventionsthema durch funktionale Oberflächen, das ist durch die Covid-19 Pandemie sehr aktuell geworden. Das betrifft natürlich nicht nur Oberflächen in Krankenhäusern, sondern auch in öffentlichen Verkehrsmitteln oder beim Car-Sharing.
Da ist natürlich die Frage: Wie kann man Lösungen schaffen, um einen Infektionsschutz zu gewährleisten und antimikrobielle Oberflächen nachhaltig zu generieren?
Da wäre ein mobiles Reinigungssystem sehr praktisch, woran wir mit unserer Plasmatechnologie im Haus arbeiten. Plasmatechnologie ist in diesem Fall der vierte Aggregatzustand, also ionisiertes Gas, und mit diesem kann man technologisch arbeiten, um Materialien abzuschalten. Es gibt verschiedene Verfahren, mit denen Oberflächen modifiziert oder behandelt werden. Und das kann man nutzen, um antimikrobielle Oberflächen zu schaffen oder überhaupt zu reinigen. Das effizient, wirtschaftlich, kostengünstig und funktional zu entwickeln, ist unsere Aufgabe.
Das geht aber auch über andere Branchen. Bei der letzten Marsmission haben wir den Roboter mit ausgestattet und den Bandpassfilter zur Staubanalyse beigetragen. Darauf waren die Kollegen sehr stolz. Es dauert ja ein paar Jahre, bis das Gerät überhaupt auf dem Mars ankommt, sodass wir erst Jahre später erfahren haben, ob die Beschichtung wie geplant funktioniert. Das war natürlich ein kleines Highlight.
Sind bei Ihren Kunden auch Start-Ups dabei?
Ja, wir arbeiten sehr gerne mit Start-Ups zusammen, weil dort noch eine hohe Kreativität herrscht und Freiräume vorhanden sind. Die stehen am Anfang ihrer Ideenumsetzung und das gemeinsame Entwickeln und Einbinden in Projekte macht natürlich Spaß.
Und wie entsteht ein Projekt? Wer kontaktiert wen?
Der Idealfall ist, wenn wir angeschrieben oder angesprochen werden. Aber es ist natürlich Projektakquisition! Die Forschungslandschaft ist sehr groß und wir müssen uns um Projekte bemühen, die als Grundlage für Industrieprojekte dienen. Dabei müssen wir unsere Kompetenzen und Leistungsangebote so weit voranbringen, dass die Industrie Interesse hat. Es ist schon eine Herausforderung diese Projekte zu bekommen.
Und wie sieht das Studium bei Ihnen am IST aus?
Dafür arbeiten wir natürlich mit der TU Braunschweig, aber auch mit anderen Forschungseinrichtungen und Hochschulen wie der Ostfalia zusammen. Innerhalb des Studiums finden Praktika statt und es können studentische Arbeiten, ob Studienarbeiten, Bachelor- oder Masterarbeiten, bei uns absolviert werden. An der TU lehren unsere Professoren in Vorlesungen und geben unser Wissen an Studierende weiter. Um die Studierenden entsprechend auszubilden, wird mit Grundlagenvorlesungen im Bereich der Schicht-, Oberflächen- und Produktionstechnik gestartet. Es gibt darauf aufbauend weitere Veranstaltungen und Module, die der Vertiefung und Aneignung der Thematik dienen.
Welche Zukunftsperspektiven ergeben sich durch einen Studienabschluss?
Die meisten unserer Studierenden kommen aus naturwissenschaftlich-technischen Studiengängen. Da gibt es die Möglichkeit bei uns oder an anderen Forschungseinrichtungen zu starten, aber auch in der Industrie gibt es viele Branchen, die genau solche Mitarbeitenden suchen. Bei uns würden diese als wissenschaftliche Mitarbeitenden ihre Fachexpertisen intensivieren, in Projekte arbeiten, Ideen in neue Projekte einbringen und diese akquirieren sowie in fachübergreifenden Teams zusammenarbeiten.
Sie hatten vorhin erzählt, dass das IST von Hamburg nach Braunschweig gezogen ist. Was sind die Vorteile des Standorts Braunschweig?
Damals hatte das natürlich andere Gründe, heute hat der Standort eine enorme Forschungslandschaft, da Braunschweig in Deutschland zu den Städten mit den größten Beschäftigungsanteilen in den Bereichen von Forschung und Entwicklung zählt. Durch verschiedene interdisziplinäre Kooperationen und Vernetzungen zwischen Wissenschaft und Wirtschaft entsteht hier ein sehr kreatives Umfeld. Das schafft Synergien und durch die Vernetzung können wir national und international die Spitzenpositionen einnehmen.
Die Technische Universität Braunschweig hat eine klare Besonderheit, weil sie nicht nur in Instituten aktiv ist, sondern auch in Forschungszentren und einzelne Institute miteinander vernetzt. Diese regionale Vernetzung ist uns sehr wichtig und das ist wirklich ein Vorteil, den dieser Standort hat.
Gibt es noch etwas, was Sie den Lesenden unbedingt mitteilen möchten?
Es gibt zum Beispiel ein Thema zu sensorischen Oberflächen, das kann man sich ganz gut vorstellen. Bei Windkraftanlagen oder Brücken spielt die Sicherheit eine große Rolle. Dort dürfen sich Schraubverbindungen nicht lösen. Dafür haben wir Sensoren entwickelt, die in Unterlegscheiben integriert werden und die Möglichkeit bieten die Schraubverbindung durchgehend zu überwachen.
Ein weiteres Paradebeispiel ist der „Königszapfen“ in den Sattelschleppern der LKWs. Der Königszapfen ist das Bauteil, was die Zugmaschine und den Lastenanhänger verbindet. Durch Sensorik können Zugkräfte überwacht und Sicherheit gewährleistet werden.
Wasserstoff ist auch noch ein relevantes Thema. Wir sind im Wasserstoffcampus Salzgitter sehr aktiv. Salzgitter besitzt eine starke Industrie mit großen und mittelständischen Unternehmen, die sich zum Ziel gesetzt haben, eine Wasserstoff-Infrastruktur zu schaffen. Hier sind wir als Forschungsinstitut für den wissenschaftlichen Teil zuständig und suchen mit den Partnern nach Lösungen zum detaillierten Verständnis über die gesamte Wasserstoff-Wertschöpfungskette, von der Wasserstofferzeugung über die Speicherung bis zur Verteilung und Nutzung des Wasserstoffs.
Im Herbst starten wir mit der Weiterbildung „Energiewende praktisch“ für Firmen, damit sie die gesamte Wertschöpfungskette kennenlernen. Wir zeigen, wie Wasserstoff schon jetzt Anwendung in Unternehmen findet. Ein intensiver Austausch mit den Forschenden und Nutzenden zum Energiekreislauf und der Fabriktransformation ist dort möglich.
Weitere Informationen über Projekt und Forschung des Fraunhofer-Instituts für Schicht- und Oberflächentechnik IST sind unter www.ist.fraunhofer.de zu finden.
Ein Beitrag von Franziska Scheffler für BS-Live!