"Der Fit-Sein-Wahnsinn"
Die Biene Maja ist dabei, mit lautem Summen in den Bundestag einzuziehen, der Herbst naht mit schnellen Schritten, und mit ihm die Vorfreude auf die Vorweihnachtsstimmung, Lebkuchen, Nüsse und Glühwein. Langsam aber sicher verschwindet sogar der Cappuccino-Fleck auf dem Bahnhofvorplatz, von dem ich in meinem letzten Beitrag berichtet habe.
Man könnte also meinen, alles sei im Lot. Global betrachtet stimmt das sicherlich, je nachdem aus welchem Blickwinkel man die Welt sieht und ob man beim Betrachten derselben eine rosarote Brille trägt. Aber da ich schon von jeher ein Gegner der Globalisierung war und mich lieber um den Kram gekümmert habe, der vor meiner eigenen Haustür liegt, wird meine Stimmung zur Zeit doch ein wenig getrübt.
Warum? Trotz der Versprechungen, die uns die Politiker vor der Bundestagswahl gemacht haben, ist es mir nicht gelungen, meinen bereits erwähnten Hüftumfang zu reduzieren - und das, obwohl ich mittlerweile auf Entzug bin und nur noch einen Cappuccino pro Tag trinke.
Bitte versteht mich nicht falsch. Ich bin weit davon entfernt, als dick durch zu gehen, aber irgendwie fehlt eben der gewisse Kick. Der Kick, sportlich zu sein, schlank, aber nicht abgemagert zu wirken, der Kick, dass sich die Frauen nach einem Umdrehen und pfeifen ganz gleich, ob ich nun in meine Midlife Crisis hinein schlittere oder nicht.
Normalerweise machen sich ja nur Frauen und "Mens Health"-Leser Gedanken über so etwas. Ich bin keines von beiden, dennoch scheint der Wahnsinn des "Fit-Seins" Besitz von meinem Geist ergriffen zu haben wie ein Hund von seinem Lieblingsbaum.
Diese Gedanken kreisen nicht erst seit heute in meinem Kopf herum, sondern schon seit Anfang des Jahres. Nachdem ich feststellen musste, dass ich Weihnachten 2008 durch eine Überdosis Lebkuchen, Glühwein und Schokolade wieder mein Albtraumgewicht von 84 Kilogramm erreicht hatte, wurde mir klar, dass ich was dagegen tun muss.
Wer es noch nicht weiß: Ich bin Informatiker, und die pflegen außer ihrer Introversion noch ganz andere schlechte Eigenschaften, nämlich Alles und Jeden analysieren zu müssen, nur um dann einen Algorithmus zu entwickeln, der zu einer bestmöglichen Prozessoptimierung führt, die sowohl dem Kunden das gibt, was er wirklich braucht, als auch den Minderwertigkeitskomplex des Informatikers reduziert, weil es ihm das Gefühl vermittelt, eine innovative Idee gehabt zu haben, die zwar schon tausende von Menschen tausende vor Jahren vor ihm hatten, diese aber nicht clever genug waren, ein Patent darauf anzumelden.
Wie dem auch sei, meine Analyse ergab: Zu viel Kohlenhydrate in Verbindung mit zu wenig Bewegung (eine andere schlechte Eigenschaft, die jeder Informatiker wohl bestens kennt).
Das Problem war also schon mal klar. Der Algorithmus zur Lösung des Problems war auch schnell gefunden: Weniger essen, beziehungsweise gesünder essen und den Hintern vom Sofa heben und sich bewegen sprich: Sport.
Das mit dem weniger Essen habe ich probiert, das Ergebnis stellte sich aber als suboptimal heraus. Die Verringerung der Kilokalorien durch Nahrungsreduktion führte lediglich dazu, dass mein Konsum an Softdrinks anstieg, und zwar so dramatisch, dass ich zum Frühjahr noch einmal ein volles Kilo zulegte. Der geneigte Leser hat sicherlich mitbekommen, dass mein Gewicht im März also bei 85 Kilo lag. Bei einer Größe von 180 cm hatte ich also einen BMI (Body Mass Index) von 26 und bin knallhart in die Kategorie "Übergewichtig" gerutscht.
Die Substitution von fehlenden Festnahrungskalorien in Form von flüssigem Gold (Cola) und Bier war alles andere als erfolgreich. Also habe ich das getan, was ein vernünftiger, übergewichtiger Mensch im Allgemeinen so macht: Anmeldung im Fitness-Studio.
Das Jahres-Abo läuft noch bis April 2010. Abgenommen habe ich nicht, was unter Umständen daran liegt, dass mir kein Mensch gesagt hat, dass es nicht ausreicht, sich drei Mal die Woche in die besagte Mucki-Bude zu begeben, sich einen Proteinshake im Automaten zu ziehen und zuzusehen, wie attraktive Blondinen sich auf dem Stepper Gramm für Gramm vom Körper schwitzen.
Mittlerweile bin ich von den Trainern, die diese Tatsache vor mir verheimlicht haben, dermaßen enttäuscht, dass ich nicht einmal mehr dorthin gehe, um meine Ration Eiweiß zu mir zu nehmen, sondern einfach nur noch darauf warte, dass dieser dämliche Vertrag ausläuft.
Dennoch kann das mit dem Sport ja kein völliger Holzweg gewesen sein. Viele Leute, die Sport machen, sehen eben einfach sportlich aus. Und sportlich heißt eben schlank.
Aber muss es wirklich das Fitness-Studio sein, oder gibt es noch andere Möglichkeiten, Kalorien zu verbrennen?
Klar gibt es die. Mannschaftssport zum Beispiel. Aber ganz ehrlich: Wenn man schon ein paar Gramm zu viel auf den Rippen hat, welche Mannschaft nimmt einen da noch auf?
Sex? Ja, sicher. Eine Stunde Sex verbrennt locker 120 Kilokalorien. Die Sache hat lediglich zwei Haken: Zum einen benötigt man zum Sex jemanden, der Sex mit einem haben möchte, und die Wahrscheinlichkeit solch eine Person zu finden fällt mit jedem Punkt des Body Mass Index (bei mir also eine Wahrscheinlichkeit von 1 zu 26). Zum zweiten, sind 120 Kilokalorien nicht wirklich die Welt.
Ein Kilogramm Fett entsprechen in etwa 7000 Kilokalorien. Das bedeutet, man muss circa 58 Stunden Sex haben, damit man ein lächerliches Kilo von den Hüften verbannt. Da mein Wunschgewicht bei 80 Kilogramm liegt, müsste ich folglich 232 Stunden die holde Weiblichkeit begatten, damit ich mich diesem annähere. Ganz davon abgesehen, dass ich selbst zwar recht ausdauernd bin: 10 Tage Sex am Stück, ohne Pause, das möchte ich weder mir noch einer Frau zumuten.
So dreht sich die ganze Geschichte im Kreis. Statt gemütlich im Stuhl des Fitness-Studios, einen Proteinshake in der Hand, oder im Bett, eine scharfe Blondine über oder unter einem zu haben, muss ich wohl doch meinen Hintern aufschwingen und mich real bewegen.
Also: Joggen! Obwohl die Lauferei bei weitem nicht so viel Spaß macht wie der Matrazensport, erscheint sie auf den ersten Blick sehr viel effizienter. Etwa 500 Kilokalorien pro Stunde werden verbrannt. Wenn ich also drei mal die Woche eine Stunde laufe, dann habe ich nach gut einem Monat ein Kilo abgenommen. Verglichen mit dem Sex erscheint das nahezu fantastisch.
Nun laufe ich seit drei Monaten. Drei mal wöchentlich eine Stunde. Ich verbrenne Kalorien wie eine Boeing 747 das Kerosin, habe aber leider die gleichen Probleme wie das Flugzeug: Sobald es nämlich mit leeren Treibstofftanks am Boden steht, dürstet es ihm nach neuem Stoff. Die Tanks werden gefüllt, und mit dem Gewicht ist alles wieder beim alten. Übertragen heißt das: Eine Stunde laufen = eine Pizza Frutti di Mare aus der Tiefkühltruhe, die laut Packung eine Energie von 460 Kilokalorien liefert.
Fazit ist dann: 40 Kilokalorien effektiv verbrannt bei einer Stunde Sport.
Mein Gewicht hat sich in den letzten drei Monaten weiterhin nicht merklich verringert, so dass ich mittlerweile mit dem Gedanken spiele, eine Kontaktanzeige im Internet zu schalten, um eine weibliche Partnerin zu finden, die Lust hat, mit mir zusammen "abzunehmen" - auf die angenehme Art, versteht sich.
Das hätte zumindest den Vorteil, dass ich nach dem "Training" nicht aufstehe und mir eine Pizza rein knalle.
Auf der anderen Seite denke ich mir, dass das mit dem Fit & Schlank vielleicht einfach nur überbewertet wird. Schlank und Sportlich, das sind doch nur ein paar Extremfälle, die sich für Hochglanzmagazine ablichten lassen, oder? Und ob die noch Spaß am Leben haben, sei mal dahin gestellt.
Andreas Altwein